Vergaberecht: Bei ungewöhnlich niedrigem Angebot können Mitbewerber Preisprüfung verlangen

Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.01.2017 – X ZB 10/16

Hintergrund

Im vorliegenden Fall schrieb die Berliner Feuerwehr die Gestellung von Notärzten aus. Für eines der insgesamt 17 Versorgungsgebiete hatte sich die Antragsstellerin beteiligt. Sie unterlag allerdings einem günstigeren Angebot. Daraufhin beantragte sie eine Vergabenachprüfung unter Berufung auf § 16 Abs. 6 S. 1 VOL/A 2009, da das Angebot ihrer Mitbewerberin ungewöhnlich niedrig im Sinne dieser Vorschrift sei. Zu einem nächstbesten Angebot bestand ein Abstand von 30%. Die Vergabekammer hielt diesen Antrag jedoch für unzulässig, da sie mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur eine drittbieterschützende Wirkung des § 16 Abs. 6 S.1 VOL/A 2009 verneint.  Dementsprechend fehle es der Antragstellerin an einer Rechtsverletzung im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB, auf die sie sich berufen könnte. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt.  Das Beschwerdegericht wollte ebenfalls im Sinne der Vergabekammer entscheiden, legte die Sache wegen einer divergierenden Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts (Entscheidung vom 29.10.2003 – 1 Verg 2/03) jedoch dem Bundesgerichtshof vor.

Gründe

Nach der Ansicht des Senats ist der Nachprüfungsantrag entgegen der Ansicht der Vergabekammer zulässig. Zu Beginn stellte der BGH klar, dass die Divergenzvorlage zum BGH nicht daran scheitert, dass die Entscheidung des Saarländischen OLG schon vergleichsweise lange zurückliegt. In seiner Entscheidung hatte das Saarländische OLG die Auffassung vertreten, dass ein Recht des zweitplatzierten Bieters auf Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung im Falle eines ungewöhnlich niedrigen Angebots besteht. Damit entsteht eine Divergenz, da viele Vergabesenate eine drittschützende Wirkung nur dann bejahen, wenn das niedrige Angebot das Ziel hat, andere Wettbewerber aus dem Markt, nicht nur aus der Ausschreibung, zu verdrängen, oder wenn der Auftrag durch die niedrige Preisgestaltung nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt werden könnte. Der BGH vertritt hier die Ansicht, dass es für einen zulässigen Nachprüfungsantrag ausreicht, wenn Indizien vorgetragen werden, aus denen sich die Unangemessenheit des Preises ergibt. Nicht erforderlich sei dagegen die Darlegung einer Marktverdrängungsabsicht, da der Antragsteller nicht die nötigen Möglichkeiten habe, um diese Informationen von seinem Konkurrenten zu erlangen. Eine wichtige Neuerung liegt darin, dass der BGH in dieser Entscheidung Bewerbern erstmals zugesteht, sich auf die Vorgaben des § 60 Abs. 3 VgV und die parallelen Vorschriften der VOB/A und VOL/A zu berufen. Ein Verstoß gegen das Verbot des Zuschlags auf ein Unterkostenangebot beträfe auch die restlichen Bewerber, sodass die Vorschriften Drittschutz entfalten müssen. Dementsprechend ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom BGH für zulässig erachtet worden und die Sache wurde zur Prüfung an die Vergabekammer zurückverwiesen.

Bewertung

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zuzustimmen. Nach ursprünglicher Ansicht wurde das Verbot des Zuschlags auf Angebote mit ungewöhnlich niedrigem Preis aus § 60 VgV zum Schutz des öffentlichen Vermögens eingerichtet. Es sollte vermieden werden, dass billige und damit nicht unbedingt wirtschaftliche Leistungen angeschafft werden. Andere Bewerber hatten jedoch keinen Einfluss auf des Zuschlag auf Unkostenangebote, was häufig zu Frustration führte. Dahingehend bedeutet das Urteil des BGH für die Bieter eine neue Rechtsschutzmöglichkeit und ist somit von großer Bedeutung. Weiterhin hat der BGH auch die Prüfungspflicht der öffentlichen Auftraggeber bei einer entsprechenden Indizienlage bekräftigt. Diese Pflicht sollten die Auftraggeber ernst nehmen.