Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.11.2017 – 2 AZR 90/17

Hintergrund

Die Beklagte, eine Inhaberin von Bildungseinrichtungen, entschied sich im November 2014 dazu, vier ihrer Einrichtungen zu schließen. Dazu vereinbarte sie mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde am 24.11.2014 zum 21.7.2015 gekündigt. Bis zum 24.12.2014 folgten mindestens elf weitere Kündigungen, ohne, dass eine Massenentlassungsanzeige erstattet wurde. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und führte zur Begründung an, es habe sich um eine gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtige Entlassung gehandelt. Da nicht mehr als 120 Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt gewesen seien, führten bereits die zwölf Kündigungen dazu, dass zehn Prozent der dauerhaft beschäftigten Arbeitnehmer entlassen worden seien. Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die vier zusätzlich bei ihr eingesetzten Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmeranzahl mit einzuberechnen seien. In diesem Fall wäre die zehn Prozent Grenze der gekündigten Arbeitsverhältnisse nicht überschritten worden und eine Massenentlassungsanzeige sei nicht erforderlich gewesen. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, vor dem Landesarbeitsgericht wurde der Klage stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, das Verfahren auszusetzen und die Frage dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Gründe

Möchte ein Arbeitgeber innerhalb von 30 Tagen eine größere Anzahl seiner Arbeitnehmer entlassen, kann möglicherweise eine sogenannte Massenentlassung im Sinne von § 17 Abs. 1 KSchG vorliegen. Dann hängt die Wirksamkeit der Kündigungen davon ab, ob der Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist und die geplanten Entlassungen vorab bei der Arbeitsagentur angezeigt hat. Wann genau eine solche Massenentlassung vorliegt, regelt § 17 Abs. 1 KSchG. Dabei ist die Betriebsgröße, also die Gesamtzahl aller Arbeitnehmer, zugrundezulegen. In diesem Fall war von entscheidender Bedeutung, ob Leiharbeitnehmer bei diesen Schwellenwerten mitzuzählen sind. Diesbezüglich fehlt eine entsprechende gesetzliche Regelung. Es kommt vielmehr auf die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 98/59 EG an, welche sich mit der Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten über Massenentlassungen befasst.

Bewertung

Für die Auslegung dieser Richtlinie, deren Umsetzung die Regelung in § 17 KSchG dient, ist der EuGH zuständig, um eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen. Es war für das BAG auch von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Betriebsgröße zu berücksichtigen sind. Somit hat das BAG richtigerweise das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV eingeleitet.