Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 13.06.2017 – 26 U 59/16
Hintergrund
Der Kläger erlitt im Mai 2012 bei einem Unfall ein Anpralltrauma am rechten Unterarm. Nach der Diagnose einer Prellung des rechten Unterarms/ Ellbogens und der rechten Hand wurden diese durch eine Gipsschiene ruhiggestellt. Im Rahmen der Nachsorge durch die beklagten Hausärzte zeigten sich etwa eine Woche nach dem Unfall am rechten Unterarm eine deutliche Schwellung, ein Hämatom und eine Bewegungsminderung. Zudem berichtete der Kläger über massive Schmerzen.
Der behandelnde Arzt ließ seine Gipsschiene erneuern und verordnet ein Schmerzmittel. Drei Tage später suchte er Kläger die Praxis erneut auf, weil sein rechter Arm dick geschwollen und insgesamt druckempfindlich war. Er wurde daraufhin an einen niedergelassenen Chirurgen und von diesem noch am selben Tage in eine Klinik überwiesen, wo ein fortgeschrittenes Kompartmentsyndrom am rechten Unterarm diagnostiziert wurde. Im Verlauf der sich anschließenden Behandlung musste der rechte Unterarm des Klägers amputiert werden.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 €. Die Hausärzte hätten die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms behandlungsfehlerhaft zu spät in Betracht gezogen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Oberlandesgericht das Urteil ab und gab der Klage statt.
Gründe
Es liegt ein großer Behandlungsfehler auf Seiten der Beklagten vor.
Der den Kläger behandelnde Hausarzt hätte im Rahmen der Nachsorgeuntersuchung eine Woche nach dem Unfall die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms abklären lassen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich beim Kläger erstmals ein Hämatom gebildet und er litt unter massiven Schmerzen. Der rechte Arm war geschwollen, seine Beweglichkeit eingeschränkt. Bei dieser Situation hätte der Arzt den Kläger auf ein Kompartmentsyndrom untersuchen und ihn ggf. umgehend in chirurgische Behandlung überweisen müssen. Eine derartige Befundung ist jedoch vorliegend unterblieben.
Dieses Versäumnis ist als grob behandlungsfehlerhaft zu bewerten. Ein Kompartmentsyndrom stellt eine schwerwiegende Erkrankung dar, die sogar zum Verlust von Gliedmaßen führen kann. Aufgrund des groben Behandlungsfehlers kommt dem Kläger hier eine Beweislastumkehr zugute. Es ist daher davon auszugehen, dass die weiteren schwerwiegenden Behandlungsfolgen, insbesondere die Notwendigkeit zur Amputation des rechten Unterarms, auf die fehlerhaft zu späte Behandlung des Kompartmentsyndroms zurückzuführen sind. Der Höhe nach ist ein Schmerzensgeld von 50.000 € notwendig und angemessen. Der Kläger wird sein Leben lang mit den aus der Amputation resultierenden Beeinträchtigungen leben müssen.
Bewertung
Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm ist vorliegend zu zustimmen.
Behandlungsfehler können in den unterschiedlichsten Bereichen der medizinischen Versorgung geschehen – bei der Aufklärung im Patientengespräch oder bei der Befunderhebung genauso wie bei einer Operation oder der Auswahl von Medikamenten. Allgemein lässt sich sagen, dass ein Behandlungsfehler dann vorliegt, wenn die medizinische Maßnahme nicht dem allgemein anerkannten Standard entspricht, der im Zeitpunkt ihrer Durchführung besteht.
Von einem Hausarzt mittlerer Art und Güte kann verlangt werden, nach einer Gipsschienenbehandlung bei der anschließenden Nachsorgeuntersuchung die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms in Betracht zu ziehen und daraufhin Folgemaßnahmen zu ergreifen. Der Patient schilderte vorliegend typische Symptome, welche nicht in ausreichendem Maße abgeklärt wurden. Dies wird richtigerweise als grober Behandlungsfehler gewertet. Die Tatsache, dass das Kompartmentsyndrom bereits so weit fortgeschritten war, dass der rechte Unterarm des Klägers amputiert werden musste, zeigt deutlich die enorme Schwere des Behandlungsfehlers. Dem Kläger steht somit ein angemessenes Schmerzensgeld zu, wobei die Höhe im Ermessen des gerichtlichen Spruchkörpers steht.