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Sozialrecht: Explodierter Heizkessel im Homeoffice zählt als Arbeitsunfall

Bundessozialgericht, Urteil vom 21.03.2024 – B 2 U 14/21 R, Pressemitteilung Nr. 11/2024 vom 21.03.2024

Hintergrund

Bei dem Kläger des vorliegenden Falles handelt es sich um einen Busunternehmer, der selbstständig tätig und im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung bei der beklagten Berufsgenossenschaft Verkehr pflichtversichert war. Im Rahmen seiner Tätigkeit nutzte er unter anderem sein Wohnzimmer als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice), um Bürotätigkeiten durchzuführen.

Am Tag des Unfalls holte der Kläger zuvor seine Kinder gegen 13:00 Uhr an deren Schule ab und setzte sich anschließend zum Zwecke der Verrichtung von Büroarbeit an seinen Schreibtisch. Etwa eine halbe Stunde später bemerkte der Kläger, dass im gesamten Haus eine niedrige Temperatur herrschte und führte dies auf die kalten Heizkörper zurück. Daher begab sich der Kläger in den Heizungskeller, um die Kesselanlage zu überprüfen und seine Homeoffice-Tätigkeit bei angenehmeren Raumtemperaturen fortführen zu können.

Bei dem Versuch, den Temperaturschalter zu erhöhen, kam es aufgrund eines Versagens der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel. Dies führte dazu, dass die Zugluftklappe in der Kaminwand durch die Explosion herausgeschleudert wurde und der Kläger im Gesicht getroffen wurde. Infolgedessen erlitt dieser unter anderem eine schwere Augenverletzung.

Der Busfahrer machte geltend, dass es sich bei diesem Geschehen um einen Arbeitsunfall gehandelt habe, die beklagte Berufsgenossenschaft Verkehr lehnte dies jedoch ab. Sie war der Ansicht, dass der Kläger die Temperatur hatte hochregeln wollen, um eine hinreichende Wärme für seine Kinder sicherzustellen.

Der Kläger wandte sich daraufhin an das Sozialgericht München, welches die Klage jedoch abwies. Auch die Berufung des Klägers vor dem Bayerischen Landessozialgericht blieb ohne Erfolg. Das Gericht gestand dem Kläger zu, dass dieser die Temperaturschalter mit dem Ziel erhöhte, seine arbeitsbezogenen Tätigkeiten in einer wärmeren Umgebung durchführen zu können, sodass die Handlungstendenz objektiv dem Geschäftsbetrieb diente. Dass die Erwärmung der fraglichen Räume zwangsläufig auch dem Zweck der Erwärmung seiner privaten Räume diene, spräche nicht dagegen.

Allerdings sei das Risiko, welches sich in der Explosion des Heizkessels realisiert habe, nicht von dem Arbeitgeber, sondern von dem Versicherungsnehmer privat zu tragen. Die Explosion wurde ausschließlich durch den Fehler der Heizungsanlage hervorgerufen, und ein solches Risiko wohne einer Privatwohnung als eingebrachte Gefahr inne, sodass der Ursachenzusammenhang zu der betrieblichen Tätigkeit zu verneinen sei.

Der Kläger wandte sich nun an das Bundessozialgericht, welches ihm Recht gab.

Gründe

Nach Ansicht des Bundessozialgerichts besteht ein Unfallversicherungsschutz auch bei dem Hochdrehen der Heizung im Homeoffice, da ein hinreichender sachlicher Zusammenhang zu der Arbeit im Homeoffice gegeben sei.

Der Kläger hatte durch das Betätigen der Regler nicht nur die Privaträume seiner Kinder, sondern auch die für seinen häuslichen Arbeitsplatz genutzten Räume heizen wollen. Daher diente die Benutzung des Heizungsreglers objektiv seinem Unternehmen und fiel damit nicht etwa unter das unversicherte Risiko im Bereich der privaten Lebensführung, sondern unter den Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaft.

Das Bundessozialgericht lehnte den Begriff der „eingebrachten Gefahr“ als ein den Ursachenzusammenhang hinderndes Rechtsprinzip ab. Unter diesen Begriff fallen derartige Ursachen, die unversichert sind und die somit der Wesentlichkeit versicherter Ursachen im Wege stehen können.

Bei einer Tätigkeit im Homeoffice sind jedoch auch die Gefahren, die von privaten Gegenständen ausgehen, mitversichert, solange die konkrete Handlung unternehmensdienlich ist. Beim Homeoffice stehen dem Arbeitenden lediglich eingeschränkte Möglichkeiten, den Arbeitsplatz sicher und gefahrenfrei zu gestalten, zur Verfügung. Daher bejahte das Bundessozialgericht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.

Bewertung

Durch das Vordringen des Homeoffice als prominenter Arbeitsweise, insbesondere aber nicht nur im Zuge der Corona-Pandemie, ist die Frage, wann im Homeoffice dennoch ein Arbeitsunfall, der dann arbeitgeberseitig versichert ist, vorliegen kann, immer präsenter für die Gerichte geworden. Lesen Sie hier etwa auch ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, welches entschied, dass ein Unfall in der Mittagspause im Homeoffice ebenfalls als Arbeitsunfall gelten kann.

Um einen Unfall als Arbeitsunfall zu klassifizieren, muss ein innerer und sachlicher Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und der Arbeit bestehen. Das vorliegende Urteil verdeutlicht nun, dass ein solcher Zusammenhang auch dann besteht, wenn die für die Arbeit genutzten Räume geheizt werden sollen.

Zwar haftet einer Heizung in einer privaten Wohnung ein Risiko an, welches diese private Wohnung grundsätzlich in sich trägt, jedoch diente das Höherstellen des Temperaturreglers, was vorliegend den Unfall auslöste, dem Zweck, die Arbeitsräume zu heizen. Dieses der Heizung anhaftende Risiko kann der Arbeitende im Homeoffice nicht präventiv umgehen, dies rechtfertigt es jedoch nicht, den Versicherungsschutz an dieser Stelle zu verkürzen.

Konstantin Theodoridis
Fachanwalt für Sozialrecht

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