Permalink

0

Arbeitsrecht: „AGG-Hopping“ kann rechtsmissbräuchlich sein

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23

Hintergrund

Geklagt hatte vorliegend ein 1994 geborener Jura-Student, der von verschiedenen Unternehmen eine Entschädigungszahlung auf Grundlage des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes begehrte.

Der Kläger hatte sich bei verschiedenen Gelegenheiten auf Stellenausschreibungen von Unternehmen, die nach einer „Sekretärin“ suchten, beworben und anschließend dabei stets Prozesse mit dem Ziel einer Entschädigungszahlung aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz angestrengt.

Zu Beginn von 2021 bewarb sich der Kläger gegenüber einem schleswig-holsteinischen Unternehmen, welches eine Kfz-Werkstatt betreibt und über die Internet-Plattform eBay eine Stelle als „Sekretärin“ ausgeschrieben hatte, auf eben diese Stelle. Er gab dabei an, technisch versiert und für die Stelle entsprechend qualifiziert zu sein. Letztlich fragte er gegenüber dem Unternehmen, ob dieses lediglich eine Sekretärin, also eine weibliche Besetzung, suchen würde.

Dieses Unternehmen äußerte dem Kläger gegenüber, dass ausschließliche eine Frau zur Besetzung der Stelle gesucht würde, woraufhin der Kläger gegenüber dem Unternehmen einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 7.800 € aufgrund einer Benachteiligung wegen seines Geschlechts einforderte, welcher ihm in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein auch zugesprochen wurde.

Im August 2021 bewarb sich der Kläger in einem ähnlich gelagerten Fall auf eine Stelle eines Unternehmens in Berlin, welches ebenfalls eine „Sekretärin“ suchte. Da dem zuständigen Arbeitsgericht Berlin allein vor diesem Gericht elf Klagen des Klägers innerhalb eines Zeitraumes von 15 Monaten aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bekannt waren, lehnte das Gericht das Entschädigungsverlangen als rechtsmissbräuchlich ab. Dabei war allen Klagen gemein, dass der Kläger sich auf eine als „Sekretärin“ ausgeschriebene Stelle unter der Verwendung des stets identischen Anschreibens beworben hatte.

Auch gegenüber diversen anderen Unternehmen bewarb sich der Kläger stets auf entsprechende Stellen als „Sekretärin“, machte bei einer Ablehnung mit der Begründung, dass eine Frau gesucht würde, stets einen Entschädigungsanspruch geltend und klagte diesen gegenüber den zuständigen Arbeitsgerichten ein. Teilweise übersandte der Kläger nicht einmal einen Lebenslauf im Rahmen seiner Bewerbung. In Rahmen dieser Verfahren stellten auch das Arbeitsgericht Hagen und in mehreren Berufungsverfahren das Landesarbeitsgericht Hamm fest, dass sich der Kläger lediglich auf diese Stellen bewerbe, um sich eine Einnahmequelle hinsichtlich der Entschädigungsansprüche zu erschließen und den formalen Status als Bewerber zu erlangen und es sich dabei um rechtsmissbräuchliches Verhalten handele.

Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger auf eine Stelle bei dem hier beklagten Unternehmen als „Bürokauffrau/Sekretärin“ beworben, wurde jedoch nicht eingestellt und klagte vor dem Arbeitsgericht Dortmund auf eine Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, wobei er begründete, warum ihm kein Rechtsmissbrauch vorzuwerfen sei.

Das Arbeitsgericht Dortmund wies die Klage ab, da der Kläger Rechtsmissbrauch betreiben würde, indem er zielgerichtet und systematisch lediglich zu Erlangung von Entschädigungsansprüchen handeln würde. Die Berufung des Klägers zum Landesarbeitsgericht Hamm war ebenfalls nicht erfolgreich.

Gründe

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers bejaht, da es ihm lediglich darum ging, den formalen Status als Bewerber gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu erlangen, um anschließend Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Rechtsmissbrauch kann bejaht werden, wenn sowohl objektive als auch subjektive Elemente einen solchen Rückschluss zulassen.

In objektiver Hinsicht bejahte das Gericht den Rechtsmissbrauch des Klägers mit Blick auf die weite Distanz seines Wohnortes zu der potenziellen Tätigkeitsstelle und der zeitlichen Unvereinbarkeit der Wahrnehmung einer Vollzeitarbeitsstelle mit dem Vollzeitstudium des Klägers. Auch an der Seriosität des Inhalts der Bewerbungsschreiben hegte das Gericht Zweifel, da sich der Kläger in seinem Anschreiben nicht hinreichend inhaltlich mit den Stellenanforderungen auseinandersetzte. Letztlich kam das Landesarbeitsgericht zu dem Schluss, dass der Kläger mit seinen unzähligen Bewerbungen ein Geschäftsmodell umgesetzt habe.

Das subjektive Element des Rechtsmissbrauchs bejahte das Landesarbeitsgericht ebenfalls, da der Kläger sich einerseits sehr dezidiert mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum sogenannten „AGG-Hopping“ auseinandergesetzt und sein Verhalten dementsprechend angepasst habe. Außerdem blieb der Kläger stets Vorträge hinsichtlich von Tatsachen, die ihn zu einer Bewerbung auf die ausgeschriebenen Stellen, bewogen hätten, schuldig. Seine Argumente blieben stets auf rechtlicher Ebene und bezogen sich auf die Abweisung des Rechtsmissbrauchsvorwurfs – warum er jedoch konkret für die Stelle geeignet gewesen wäre, trug der Kläger hingegen nicht vor.

Bewertung

Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann im Falle einer Benachteiligung ein Anspruch auf angemessene Entschädigung bestehen. Eine Benachteiligung im Sinne des AGG liegt vor, wenn eine Person aus Gründen der Rasse, wegen der ethischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schlechter behandelt wird.

Grundsätzlich kann ein solcher Anspruch bestehen, wenn ein potenzieller Bewerber auf eine Stelle lediglich aufgrund seines Geschlechts abgelehnt wird. Auch die Tatsache allein, dass ein Kläger gleichzeitig verschiedene AGG-Entschädigungsverfahren betreibt, genügt noch nicht, um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu bejahen. Um einen Rechtsmissbrauch nachzuweisen, müssen sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.

Die verschiedenen Aspekte des vorliegenden Falles führten das Landesarbeitsgericht Hamm jedoch zu der Annahme, dass es dem Kläger lediglich um rechtsmissbräuchliches „AGG-Hopping“ ging und eine ernsthafte Bewerbungsabsicht nicht vorlag. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat jedoch eine Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, und der Student hat diese bereits eingelegt, daher bleibt eine höchstrichterliche Entscheidung noch abzuwarten.

Claudia Lorig
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

Ihre Meinung interessiert uns!

Hinterlassen Sie uns ihr Feedback und diskutieren Sie mit uns über aktuelle wirtschaftsrechtliche Fälle aus den Bereichen Arbeitsrecht, Medizinrecht, Marken- und Designrecht sowie weiteren Themen. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen.

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.