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Medizinrecht: Einmalig kostenfreie Kopie der Behandlungsakte eines Patienten

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26.10.2023 – C 307/22, ECLI:EU:C:2023:811, Pressemitteilung Nr. 161/2023 vom 26.10.2023

Hintergrund

Der Europäische Gerichtshof entschied in dem vorliegenden Fall, ob Patienten einen Anspruch gegenüber ihren behandelnden Ärzten darauf haben, eine kostenlose Kopie ihrer Behandlungsakte zu erhalten.

Der Kläger war Patient einer Zahnärztin und verlangte zum Zwecke der Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diese eine Kopie seiner Patientenakte. Der Patient hatte den Verdacht, dass der Zahnärztin bei seiner Behandlung Fehler unterlaufen seien. Die Zahnärztin entgegnete, dass sie seiner Forderung nur gegen Zahlung der Kopierkosten entsprechen würde, wobei sie sich auf die nationale Vorschrift stützte.

§ 630 g Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sieht nämlich vor, dass dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige Patientenakte zu gewähren ist. § 811 BGB, auf den in jener Vorschrift verwiesen wird, legt fest, dass derjenige, der die Vorlegung verlangt, auch deren Kosten zu tragen hat. Ferner sieht auch § 630 g Abs. 2 S. 2 BGB vor, dass der Patient die Kosten der Anfertigung einer elektronischen Kopie dem behandelnden Arzt zu ersetzen hat.

Nachdem der Kläger die Zahlung dieser Kopierkosten abgelehnt hatte, wurde seiner Klage erstinstanzlich vor dem Amtsgericht Köthen und im Rahmen der Berufung vor dem Landgericht Dessau-Roßlau stattgegeben, wobei beide Gerichte einen Anspruch auf einmalige unentgeltliche Herausgabe einer Kopie der Patientenakte mit einer unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Vorschriften begründeten.

Die beklagte Zahnärztin wandte sich mit einer Revision an den Bundesgerichtshof, der das Verfahren zur Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorlegte. Der Bundesgerichtshof war der Überzeugung, dass die vorliegende Entscheidung, ob der Patient die Kosten der Kopie zahlen muss, von der Auslegung der unionsrechtlichen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abhängt. Entscheidungsrelevant waren dabei Art. 15 Abs. 3 S. 1 und Art. 12 Abs. 5 der DSGVO.

Gründe

Der Europäische Gerichtshof hat einen Anspruch auf eine einmalige Zurverfügungstellung einer unentgeltlichen Kopie der Patientenakte mit Hinblick auf die Vorschriften der DSGVO bejaht. Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO statuiert, dass der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Datenverarbeitung sind, zur Verfügung stellt. Art. 12 Abs. 5 DSGVO legt fest, dass Informationen gemäß Art. 15 DSGVO unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Zunächst hatte der Europäische Gerichtshof zu klären, ob ein Anspruch auf eine unentgeltliche Herausgabe der Daten auch besteht, wenn die Daten nicht zum Zwecke der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung, sondern zu anderen Zwecken wie etwa vorliegend der Prüfung eines arzthaftungsrechtlichen Anspruches bestehen kann. Dies hat der Europäische Gerichtshof bejaht, da der Antrag auf Zurverfügungstellung der Daten nicht seitens des Antragstellers begründet werden muss.

Weiterhin wurde festgestellt, dass der behandelnde Arzt auch der „Verantwortliche“ im Sinne des Art. 15 DSGVO ist, der die Patientendaten zur Verfügung zu stellen hat. Diese Bereitstellung der Daten hat gemäß den Artikeln der DSGVO einmalig kostenfrei zu erfolgen, der behandelnde Arzt kann die Zusendung der Daten also nicht verweigern oder von einer Übernahme der Bereitstellungskosten abhängig machen. Dies soll es den Patienten erleichtern, ihre Rechte entsprechend der DSGVO auszuüben.

Die Regelung des § 630 g Abs. 2 S. 1 BGB, welcher bereits vor Inkrafttreten der DSGVO bestand und die Kosten der Aktenvorlegung dem Antragsteller, also dem Patienten, auferlegt, gilt entsprechend dem vorliegenden Urteil als unionsrechtswidrig. Zumindest die erste Kopie der personenbezogenen Daten hat demnach auf Kosten des behandelnden Arztes zu erfolgen.

Bewertung

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs konkretisiert die Informationspflichten der behandelnden Ärzte. Verlangt ein Patient die Zusendung der eigenen Patientenakte, so hat die erstmalige Bereitstellung dieser Akte auf Kosten des Arztes zu erfolgen. Einmalig muss also auf Anfrage eine kostenlose Kopie der Behandlungsakte bereitgestellt werden, jede weitere Kopie kann dem Patienten jedoch in Rechnung gestellt werden.

Dies ist Ausdruck der Abwägung des datenschutzrechtlichen Interesses des Patienten, dem mit der einmaligen Zurverfügungstellung der Daten genügt ist, mit dem wirtschaftlichen Interesse des Arztes, der durch die Kostenregelung nicht übermäßig finanziell belastet werden soll.

Um den Zwecken des Datenschutzes und der Informationspflicht hinreichend zu genügen, muss die Kopie der Patientenakte jedoch auch vollständig sein, also auch Informationen wie Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte sowie Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.

Lisa Lang
Anwältin für Medizinrecht

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