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Familienrecht: Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen mit dem Grundgesetz unvereinbar

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.02.2023 – 1 BvL 7/18, Pressemitteilung Nr. 36/2023 vom 29.03.2023

Hintergrund

Das Vorlageverfahren hatte Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zum Gegenstand. Die Norm wurde im Jahr 2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen dem EGBGB hinzugefügt und ordnete unmittelbar an, dass im Ausland geschlossene Ehen im ausländischen Recht ehemündiger Minderjähriger unwirksam sind, wenn ein Ehepartner das 16. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht vollendet hatte, wobei die Ausnahme des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB bestehen blieb.

Das Verfahren hatte insbesondere die Frage zum Gegenstand, welche Anforderungen des Verfassungsrechts – insbesondere des Art. 6 Abs. 1 GG – bei gesetzlichen Regelungen betreffend der inländischen Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen Minderjähriger zu beachten sind.

Zugrunde lag ein Verfahren, das eine 2015 vor einem in Syrien ansässigen Scharia-Gericht nach dem dort geltenden Recht geschlossene Ehe zwischen einem 1994 geborenen Mann und einer 2001 geborenen Frau betraf, wobei beide syrische Staatsangehörige sind und gemeinsam nach Deutschland flüchteten. Dort nahm das örtlich zuständige Jugendamt die Frau in Obhut. Ihre Unterbringung erfolgte in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche, minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. Darüber hinaus wurde die Bestellung eines Vormunds angeregt. Seitens des Familiengerichts wurde die elterliche Sorge als ruhend festgestellt, sodass eine Vormundschaft angeordnet wurde und ein Amtsvormund bestellt wurde.

Der Ehemann beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme, wies auf die nach syrischem Recht geltende Ehe hin und beantragte die Rückführung seiner Frau zu ihm.

Der BGH legte das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht mit der Frage vor, „ob es mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine unter Beteiligung einer nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen Person geschlossenen Ehe nach deutschem Recht – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert, wenn die minderjährige Person im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.“ Der BGH sah eine Unvereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit Art. 6 Abs. 1 GG.

Gründe

Trotz der grundsätzlichen Befugnis des Gesetzgebers, die Wirksamkeit im Ausland geschlossener Ehen im Inland von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen, ist Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mangels Folgeregelungen und unzureichender Möglichkeiten zur wirksamen Fortführung der Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit unangemessen.

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erstreckt sich nicht nur auf deutsche Staatsangehörige, sondern auch auf ausländische Staatsangehörige und Staatenlose. Darüber hinaus ist unbeachtlich, wo und nach Maßgabe welcher Rechtsordnung die Ehe begründet wird und nach welchem Recht die Rechtswirkungen zu beurteilen sind.

Die Freiheit der Eheschließung bedarf allerdings der gesetzlichen Regeln. Diese müssen, die die Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, welche u. a. die Gleichberechtigung der Partner umfasst. Auf diesem Wege soll eine einseitige Dominanz eines der Ehepartner hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung verhindert werden, wobei die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, auf welche Art und Weise das eheliche Zusammenleben gestaltet wird, dem Ehepaar nicht genommen werden soll.

Die im Gesetz vorgesehene unmittelbare inländische Unwirksamkeit der nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen umfasst auch solche Ehen, die im Ausland geschlossen wurden und in keinem Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien stehen.

Zwar kann einem Minderjährigen entwicklungsbedingt die hinreichende Persönlichkeitsentwicklung fehlen, derer es bedarf, um eine Ehe einzugehen, allerdings kann nicht angenommen werden, dass die hinreichende Persönlichkeitsentwicklung durchgehend erst ab der Vollendung des 16. Lebensjahres besteht.

Die angeordnete Unwirksamkeit nach ausländischem Recht wirksam geschlossener Ehen verstößt nicht ihrerseits gegen verfassungsrechtliche Strukturprinzipien. Sie sollte gewährleisten, dass eine Ehe, die vor der Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossen wurde, nicht den Rechtsbindungen der Ehe unterworfen werden sollte. Begründet wurde dies damit, dass sich Kinder zu diesem Zeitpunkt noch entwickeln und „unter anderem in geistiger und sozialer Hinsicht noch nicht über den üblicherweise bei Erwachsenen vorhandenen Stand an Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen, Wissen und Reife“ verfügen. Die genannten Anforderungen seien aber erforderlich, um eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, eine Ehe einzugehen, und diese auf gleichberechtigte Art und Weise zu führen.

Dies reiche jedoch nicht für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB aus. So war der Gesetzgeber zwar befugt, die inländische Wirksamkeit solcher Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, von einem Mindestalter der potenziellen Ehepartner abhängig zu machen und bei Unterschreiten des Alters die statusrechtliche Nichtigkeit der Ehe anzuordnen; jedoch erfüllte die Regelung nicht die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

Ein legitimes Ziel besteht in dem aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Minderjährigenschutz hinsichtlich ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Diesem Schutz werde nicht genügend gerecht, wenn Kinder unter 16 Jahren eine Ehe eingehen und die mit dem Eingehen der Ehe verbundenen Folgen nicht einschätzen können.

Ein weiteres legitimes Ziel besteht darin, zur internationalen Ächtung von Kinderehen beizutragen. Dies entspricht dem Bemühen der vereinten Nationen, den wegen der Beeinträchtigungen der Entwicklungschancen der Kinder als schädlich bewerteten Praxis bewerteten Kinder-, Früh- und Zwangsehen entgegenzuwirken. Diesem Gedanken entsprechen auch Art. 16 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der auf beiden Seiten Heiratsfähigkeit voraussetzt, und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Dieses Ziel soll auch mittels Art. 24 Abs. 1 GG erreicht werden.

Die Norm verfolgt somit legitime Ziele in Form von Minderjährigenschutz und der Bekämpfung von Kinderehen.

Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist darüber hinaus auch geeignet und erforderlich. Die Nichtanerkennung der im Ausland geschlossenen Ehen soll dazu dienen, die Minderjährigen vor dem Verlust von eigenen Entwicklungschancen zu bewahren und die Freiheit der Selbstbestimmung wiederherstellen.

Eine Einzelfallprüfung ist nicht erforderlich. Die verfolgten Zwecke können nicht sicher gleich wirksam mit geringeren Belastungen erreicht werden.

Allerdings ist die Norm nicht im engeren Sinne verhältnismäßig wegen des Fehlens von Regelungen hinsichtlich der Folgen der Unwirksamkeit abseits der Statusfolge und der fehlenden Möglichkeit, die wirksame Auslandsehe fortzuführen, wenn die Volljährigkeit auch nach inländischem Recht erreicht wurde.

So wird wegen der Berührung der Strukturprinzipien erheblich in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG eingegriffen. Ehepaare, die im Ausland als Eheleute zusammengelebt haben und diese Rechtsform für ihre Verbindung fortführen wollen, haben aufgrund von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB im deutschen Rechtsraum keine Möglichkeit dazu.

Das Ausbleiben der Möglichkeit der inländisch als wirksam angesehenen Fortführung der Ehe aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung betrifft zentrale Bestandteile der Ehefreiheit. Darüber hinaus ist das Recht auf eheliches Zusammenleben ausgeschlossen. Des Weiteren könnte in dem Wunsch, die Ehe fortzuführen, einen an Bedeutung gewinnenden Willen darstellen.

Zuletzt werden den Betroffenen die grundsätzlich mit dem Status der Ehe verbundenen rechtlichen Vorteile verwehrt. Dies bezieht sich auf alle die eheliche Lebensgemeinschaft betreffenden Rechte und Pflichten sowohl vermögensrechtlicher als auch nichtvermögensrechtlicher Art wie die eheliche Lebensgemeinschaft, Unterhalt und Erbrecht) sowie alle nachehelichen Ansprüche. Im Rahmen der Unwirksamkeit der Ehe nach Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bestehen keine spezifischen Ansprüche, die dem wirtschaftlichen Zweck der vermeintlichen Eheleute dienen. Allenfalls §§ 812 ff. BGB ist nicht ausgeschlossen.

Dadurch wird der Anspruch von Kindern auf Unterstützung und Förderung durch den Staat bei der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 GG nicht genügt. Der angestrebte Minderjährigenschutz steht demnach nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlen der Regelungen zu nachehelichen Ansprüchen im Rahmen der Unwirksamkeitslösung.

Unter 16-jährige Partnerinnerinnen und Partner befinden sich nach der Unwirksamkeitslösung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in einer ungünstigeren rechtlichen Situation als Minderjährige mit 16-jährigen oder 17-jährigen Partnerinnen und Partnern, denen nacheheliche Ansprüche zuteilwerden.

Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG allerdings nicht nichtig. Das normvertretende Übergangsrecht ist allerdings darauf zu beschränken, die Umstände, die zur Verfassungswidrigkeit der Norm geführt hat, zu vermeiden oder ihre Wirkung abzuschwächen. Einer Übergangsregelung bedarf es daher nur für die unterhaltsrechtlichen Fragen der weiterhin inländischen unwirksamen Ehe. So ist § 1318 BGB für die nicht nur vorübergehende Trennung der Eheleute anzuwenden und §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen während der Dauer des Zusammenlebens.

Bewertung

Grund für die Unvereinbarkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen ist die fehlende Regelung zu den Folgen und den Fortführungsmöglichkeiten der unwirksamen Auslandskinderehen nach inländischem Recht.

Der Gesetzgeber ist dazu befugt, ein Mindestalter für die Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossene Ehen im Inland zu bestimmen, und die Nichtigkeit der Ehe ohne vorherige Einzelfallprüfung anzuordnen.

Jedoch bedarf es der Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit der Ehe sowie die Möglichkeit, die im Ausland wirksam geschlossener Ehen nach deutschem Recht als wirksame Ehe fortführen zu können.

Matthias Gollor
Rechtsanwalt

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