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Arbeitsrecht: Mögliche Unpfändbarkeit von Corona-Prämien

LAG Niedersachsen, Urteil vom 25.11.2021 – 6 Sa 216/21

Hintergrund

Im August 2015 wurde die Klägerin zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Frau M., die bei dem Beklagten im Zeitraum vom 01.07.2020 bis 31.12.2020 als Küchenhilfe angestellt war, bestellt. Der Beklagte zahlte an Frau M. im September 2020 ihren Festlohn i. H. v. 1.350 € brutto, Sonntagszuschläge i. H. v. 66,80 € brutto und eine Corona-Unterstützung i. H. v. 400 €.

Die Klägerin errechnete einen pfändbaren Betrag von 182 € netto, dem sie einen pfändungsrelevanten Nettoverdienst im September 2020 i. H. v. 1.440 € zugrunde legte. Der pfändungsrelevante Nettoverdienst setze sich aus dem Festlohn und der Corona-Unterstützung zusammen. Die Sonntagszuschläge wurden nicht beachtet.

Am 22.10.2020 forderte die Klägerin die Beklagte dazu auf, die errechneten 1.440 € spätestens bis zum 05.11.2020 an sie abzuführen. Die Beklagte lehnte dies ab und begründete ihre Ablehnung damit, dass Corona-Sonderzahlungen unpfändbar seien. Aus Sicht der Klägerin war die Corona-Unterstützung allerdings pfändbar. Dies begründete sie damit, dass in § 150a Abs. 8 S. 4 SGB IX ausdrücklich die Unpfändbarkeit einer Corona-Prämie geregelt wurde, während der Gesetzgeber hinsichtlich der Corona-Unterstützung nur geregelt hat, dass diese bis zu einer Höhe von 1.500 € steuer- und abgabenfrei sei. Eine Unpfändbarkeit wurde hier ausdrücklich nicht gesetzlich normiert. Zudem sei es nicht möglich, die Corona-Unterstützung als Erschwerniszulage i. S. d. § 850a Nr. 3 ZPO zu qualifizieren. Zweck der Corona-Unterstützung sei lediglich die Anerkenntnis der besonderen Unverzichtbarkeit der Leistung der Beschäftigten. Dabei handele es sich um eine Art der Treueprämie. Ihr Anknüpfungspunkt bestehe eben nicht in der Erschwernis der Erbringung der Arbeitsleistung. Darüber hinaus übersteige sie in ihrer Höhe den Rahmen des Üblichen.

Die Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem LAG blieb ohne Erfolg. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde allerdings die Revision zum BAG zugelassen

Gründe

Seitens der Klägerin besteht kein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 182 € nebst Zinsen.

Das Einkommen, das von Frau M. im September 2020 beim Beklagten erzielte, ist insgesamt unpfändbar. Folglich kann die Klägerin der Schuldnerin nicht darauf zugreifen.

Der Gesetzgeber hat im Insolvenzrecht grundsätzlich anerkannt, dass der Gläubiger nicht auf das Existenzminimum zugreifen kann. Unpfändbare Forderungen gehören gem. § 36 Abs. 1 S. 2 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Dem Insolvenzverwalter wurden diese Forderungen nach §§ 148 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO nicht zur Verfügung übertragen. Lediglich der pfändbare Teil des Arbeitsentgeltes ist Teil der Insolvenzmasse. Er kommt dem Gläubiger des in Privatinsolvenz gefallenen Arbeitnehmers zu Gute. Hierbei geht es um die Wahrung des unantastbaren Bereichs persönlicher und lebensnotwendiger Güter.

Über § 36 Abs. 1 S. 2 InsO kommt der § 850a Nr. 3 ZPO analog zur Anwendung. Die Corona-Prämie ist eine Erschwerniszulage i. S. d. § 850a Nr. 3 ZPO. Damit ist auch die Corona-Prämie, die der Schuldnerin im September 2020 gezahlt wurde, unpfändbar. Sie ist dem Zugriff durch die Klägerin gem. §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 S. 2 InsO entzogen.

Einem Rückgriff auf § 850a Nr. 3 ZPO steht auch die Bestimmung des § 150a Abs. 8 S. 4 SGB IX nicht entgegen. Die Norm bestimmt, dass nur die obligatorische Corona-Prämie für bestimmte Pflegekräfte unpfändbar ist. In anderen Berufsbereichen stellt die Corona-Prämie eine freiwillige Leistung dar und wird demnach nicht von § 150a Abs. 8 S. 4 SGB IX erfasst. Diese Form der Corona-Prämie ist als Arbeitsentgelt den §§ 850 ff. ZPO zuzuordnen, in denen die allgemeinen Bestimmungen zum Pfändungsschutz für das Arbeitseinkommen geregelt werden.

Der Begriff der Erschwernis erfasst im Rahmen der gebotenen Auslegung des § 850a Nr. 3 ZPO auch eine besondere Belastung bei der Arbeitsleistung, die sich u. a. als Umstände darstellen, die für die Gesundheit des Arbeitnehmers nachteilig sind und Maßnahmen zur Sicherheit und zum Schutz des Arbeitnehmers erfordern. Im September 2020 war die Tätigkeit der Schuldnerin in einem gastronomischen Betrieb bedingt durch die Corona-Pandemie mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden.

Bewertung

Aufgrund ihrer Zweckbestimmung können Corona-Prämien, die zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn von einem Arbeitgeber an einen Arbeitnehmer in der Gastronomie gezahlt werden, unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge i. S. d. § 850a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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