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Arbeitsrecht: Auch krankheitsbedingte Kündigungen sind Massenentlassungen

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 – 7 Sa 405/21, Pressemitteilung vom 15.10.2021

Hintergrund

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2008 als Luftsicherheitsassistent am Flughafen Düsseldorf beschäftigt. Der Kläger war in den Jahren 2018 bis 2020 nach dem Vortrag der Beklagten 61 Tage, 74 Tage und 45 Tage erkrankt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.4.2021 und erneut zum 30.6.2021.

Im Zeitraum eines Monats sprach die Beklagte insgesamt 34 Kündigungen aus krankheitsbedingten Gründen aus. Eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattete die Beklagte nicht.

Der Kläger hält beide Kündigungen für unwirksam. Bei der ersten Kündigung hätte die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit erstatten müssen. Außerdem seien seine Erkrankungen vollständig ausgeheilt.

Die Beklagte entgegnete, dass eine solche Anzeige bei krankheitsbedingten Kündigungen nicht erforderlich sei. Zudem indizieren die überdurchschnittlichen Fehlzeiten des Klägers eine negative Gesundheitsprognose, die zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und Störungen im Betriebsablauf führen würde.

Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und bestätigte damit das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Revision der Beklagten wurde nicht zugelassen.

Gründe

Die erste Kündigung scheitert an der fehlenden Massenentlassungsanzeige. Nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des § 17 KSchG besteht die Anzeigepflicht auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gab es die ausdrückliche Anregung, personen- und verhaltensbedingte Entlassungen von der Anzeigepflicht auszunehmen, die der Gesetzgeber allerdings nicht aufgegriffen hatte.

Unabhängig davon sind beide Kündigungen unwirksam, da die Krankheitszeiten keine negative Gesundheitsprognose begründen. Die von der Beklagten vorgebrachten unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen liegen nicht vor. Nur in einem Jahr musste die Beklagte Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 42 Tagen aufwenden. Die Anpassung des Dienstplans allein begründet keine erhebliche Betriebsablaufstörung; dies ist bei einem krankheitsbedingten Betriebsausfall eine unumgängliche Maßnahme.

Da beide Kündigungen unwirksam sind, war die Revision nicht zuzulassen.

Bewertung

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts gibt Aufschluss über die Auslegung des § 17 KSchG, der die Anzeigepflicht von Massenentlassungen regelt. Nach vorliegender Entscheidung ist auch bei einer krankheitsbedingten Massenentlassung eine Anzeige zu erstatten, was einer arbeitnehmerfreundlicheren Auslegung entspricht.

Aktuell sind beim Landesarbeitsgericht noch weitere, zumindest parallel gelagerte Kündigungsschutzverfahren anhängig.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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