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Arzthaftungsrecht: Haftung nach unterlassener ärztlicher Aufklärung über mögliche Behinderung des Kindes

Oberlandesgericht Karlsruhe vom 19.02.2020 – 7 U 139/16

Hintergrund

Im Jahr 2011 wurde die Klägerin im beklagten Krankenhaus zum Zweck der Schwangerschaftsbetreuung vorstellig. Bereits im Jahr 2010 betreute das beklagte Krankenhaus eine Schwangerschaft der Klägerin. In diesem Zusammenhang wurde damals im Rahmen einer pränatalen Diagnostik das „Turner-Syndrom“ bei dem ungeborenen Kind diagnostiziert. Daraufhin brach die Klägerin die Schwangerschaft ab. Eine im November 2011 im Verlauf der zweiten Schwangerschaft durchgeführte MRT-Untersuchung ergab eine sog. „Balkenagenesie“, was das Fehlen des Balkens zwischen den beiden Gehirnhälften bedeutet. Zwar kommen in einem solchen Fall die meisten Ungeborenen gesund zur Welt, in 12% der Fälle kommt es jedoch zu schweren Behinderungen. Die Parteien streiten über die ärztliche Aufklärung über diesen Befund. Die Klägerin brachte das Kind, welches an schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen leidet, zur Welt. Die Eltern des Kindes verlangen von dem beklagten Krankenhaus sowie den behandelnden Ärzten den Ersatz ihres durch die Betreuung des schwerbehinderten Kindes entstandenen Mehraufwandes. Sie seien auf das Risiko einer schweren Behinderung nicht hingewiesen worden. Weiter führten die Eheleute an, dass sie bei Kenntnis dieses Risikos die Schwangerschaft abgebrochen hätten. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht hatte über die eingelegte Berufung der Eltern zu entscheiden.

Gründe

Das Oberlandesgericht gab der Berufung der Eltern nun überwiegend statt. Die Ärzte seien nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet gewesen, die Klägerin auf das Risiko einer schweren Behinderung des ungeborenen Kindes hinzuweisen, da die Eltern die Behandlung mit dem erkennbaren Ziel durchführen wollten, möglichst frühzeitig über solche Schädigungen informiert zu werden. Die Eltern seien nur über mögliche Entwicklungsverzögerungen des Kindes, nicht jedoch über das Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt worden. Die Vorenthaltung dieser Information dürfe aber nicht passieren.

Nach Anhörung der Klägerin kam der Senat zu der Überzeugung, dass diese bei Kenntnis des Risikos einer schweren Behinderung die Schwangerschaft abgebrochen hätte und – nach psychiatrischem Sachverständigengutachten – dass ein solcher Schwangerschaftsabbruch im vorliegenden Einzelfall auch gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt gewesen wäre, da die außergewöhnlich schweren gesundheitlichen Folgen der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt bereits absehbar gewesen seien. Somit stehe der Mutter im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen, schwerwiegenden psychischen Folgen ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zu. Zudem hätten die Eltern Anspruch auf Schadensersatz wegen der gegenüber einem gesunden Kind entstehenden vermehrten Unterhaltsleistungen und des vermehrten Pflegeaufwandes. Dabei sei insbesondere berücksichtigt worden, dass das Kind unter einer Fehlbildung der Augen leide, nicht laufen, krabbeln, sprechen und greifen könne, der Schluckreflex schwer gestört sei und eine starke, therapieresistente Epilepsie eine erhöhte Fürsorge und dauernde Rufbereitschaft erfordere.

Bewertung

Für einen schuldhaften Behandlungsfehler hat der Arzt dem Patienten gegenüber zu haften. Ein möglicher Behandlungsfehler ist die unterlassene Sicherungsaufklärung beispielsweise über die Möglichkeit von Nebenwirkungen, über die Medikamentendosierung, die Erforderlichkeit der Wiedervorstellung innerhalb einer bestimmten Frist und Ähnliches. Ein vergleichbarer Fall liegt vor, wenn die behandelnden Ärzte über das im Rahmen einer pränatalen Diagnostik festgestellte Risiko der schweren Behinderung nicht aufgeklärt haben und erwiesen ist, dass die Mutter die Schwangerschaft abgebrochen hätte und dies gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt gewesen wäre.

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Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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