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Arbeitsrecht: Unwirksamkeit der Kündigungen des Cockpit-Personals wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige nach Air-Berlin-Insolvenz

Bundesarbeitsgericht, Entscheidung vom 13.02.2020 – 6 AZR 146/19

Hintergrund

Der Kläger war Pilot mit Einsatzort Düsseldorf bei Air Berlin. Er wurde wegen der Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017 gekündigt. Die Kündigung erfolgte, nachdem am 01.11.2017 das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung erfolgreich eröffnet worden war.

Der Einsatzort Düsseldorf gehörte zu den „Stationen“, über die Air Berlin an mehreren Flughäfen verfügte. Ihnen gehörte neben dem Boden- und dem Kabinenpersonal auch Personal aus dem Cockpit an.

Die Massenentlassungsanzeige, die Air Berlin erstattete, bezog sich auf den angenommenen „Betrieb Cockpit“. Die Anzeige richtete sich aufgrund der tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen an das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal. Gem. § 117 Abs. 2 BetrVG werden die Vertretungen für Boden-, Kabinen- und Cockpitpersonal getrennt behandelt. Auf dieser Trennung basiert das Betriebsverständnis.

Zuständig für die Anzeige war die für den Sitz der Air Berlin zuständige Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Ihr gegenüber erfolgte die Massenentlassungsanzeige. Grund dafür ist die zentrale Steuerung des Flugbetriebs.

Die Massenentlassungsanzeige ist aus Sicht des Klägers fehlerhaft, da der Flugbetrieb zumindest teilweise durch andere Fluggesellschaften fortgeführt wurde. Es kam nicht zu einer vollkommenen Stilllegung. Die darauf bezogene Erklärung bestritt der Kläger.

Die Kündigungsschutzklage wurde vom ArbG und LAG abgewiesen. Vor dem BAG hatte der Kläger allerdings Erfolg mit seiner Revision.

Gründe

Bevor ein Arbeitgeber innerhalb von 30 Kalendertagen eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in einem Betrieb entlässt, muss durch den Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige erstattet werden. Gesetzlich normiert ist diese Vorgabe in § 17 Abs. 1 KSchG. Es handelt sich hierbei um die Umsetzung der unionsrechtlichen Verpflichtung in Art. 3 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie – MERL). Die Massenentlassungsanzeige dient dem Zweck, dass die zuständige Agentur für Arbeit den Konsequenzen der Massenentlassung entgegenhalten können sollen.

Die Stationen der Air Berlin an verschiedenen Flughäfen sind Betriebe im Sinne des unionsrechtlich in § 17 Abs. 1 KSchG determinierten Betriebsbegriff. Nach diesem Betriebsbegriff hätte die Massenentlassungsanzeige nicht bei der Agentur für Arbeit in Berlin-Nord, sondern für die Station Düsseldorf bei der für die Station zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf erfolgen müssen, da sie diejenige ist, die den Auswirkungen entgegentreten soll.

Hinzu kommt, dass die Anzeige keine Beschränkung der Angaben auf das Cockpitpersonal hätte enthalten dürfen. In der Massenentlassungsanzeige hätte auch das Boden- und das Kabinenpersonal inbegriffen sein müssen. Diese zwingend erforderlichen Angaben ergeben sich aus § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG. Aus Sicht der MERL ist es unwichtig, ob eine Gruppe von Beschäftigten bereits Teil einer weiteren Vertretungsstruktur ist. Dies ist hier der Fall. So hatten das Boden-, das Kabinen und das Cockpitpersonal jeweils ihre eigene Vertretungsstruktur.

Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 17 Abs. 1 KSchG, § 134 BGB könnte die Frage, ob zumindest ein Betriebsübergang zumindest hinsichtlich eines Teils auf eine andere Fluggesellschaft stattgefunden hat.

Bewertung

Aufgrund der hohen Anzahl derer, die von den Kündigungen der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin betroffen waren, bestand eine Massenentlassungsanzeigepflicht.

Bei der Anzeige aus Sicht der unionsrechtlichen Massenentlassungsrichtlinie ist der für § 17 KSchG maßgebliche Betriebsbegriff ein anderer als üblich. Konsequenz dessen war, dass die Massenentlassungsanzeige an den falschen Betrieb gerichtet wurde. Statt auch das Boden- und Kabinenpersonal anzusprechen, richteten sich die Kündigungen ausschließlich gegen das Personal im Cockpit. Konsequenz dessen war, dass statt der Agentur für Arbeit in Düsseldorf die Agentur für Arbeit in Berlin-Nord informiert wurde.

Die Kündigungen sind unwirksam.

Lesen Sie mehr zu den Schwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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