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Arbeitsrecht: Die Rente ist/war „sicher“ (frei nach Norbert Blüm) – EuGH äußert sich zu Pensionskassen in finanzieller Schieflage

Gerichtshof, Urteil vom 19.12.2019 – C-168/18

Hintergrund

Herr B. (B) wurde durch seine ehemalige Arbeitgeberin eine Betriebsrente im Sinne des Betriebsrentengesetzes gewährt. Hiervon erfasst waren eine monatliche Pensionszulage sowie ein jährliches Weihnachtsgeld, das durch die vormalige Arbeitgeberin selbst gezahlt wurde und eine Pensionskassenrente, die durch die Pensionskasse (Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft) aufgrund von Beiträgen der Arbeitgeberin geleistet wurde.

Durch finanzielle Schwierigkeiten bedrängt, kürzte die Pensionskasse mit Zustimmung der sie beaufsichtigenden BaFin die Leistungen. Dies geschah sukzessive in den Jahren von 2003 bis 2013 in Gestalt von insgesamt elf Kürzungen zwischen jeweils 1,24 % und 1,4 % und damit insgesamt um 13,8 %.

Gemäß deutscher Rechtslage glich die vormalige Arbeitgeberin die entstehende finanzielle Lücke aus. Im Januar 2012 geriet sie jedoch selbst in Schieflage und war folgend mit einem Insolvenzverfahren konfrontiert.

Der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) sagte dem B daraufhin schriftlich zu, dass er für die Leistungen der vormaligen Arbeitgeberin in Gestalt der monatlichen Pensionszulage und des Weihnachtsgeldes aufkommen werde. Er stellte jedoch klar, dass ein Eintritt für die Pensionskassenrente respektive die finanzielle Lücke bei der Pensionskassenrente in Folge der finanziellen Schwierigkeiten der Pensionskasse nicht erfolgen wird.

Der B sah hier aber eine Einstandspflicht und begab sich auf den Rechtsweg. Nach Erfolg des B in der zweiten Instanz wandte sich der PSV mit dem Rechtsmittel der Revision an das Bundesarbeitsgericht (BAG), um eine Einstandspflicht prüfen zu lassen.

Das BAG sah sich einer vermeintlichen Diskrepanz zwischen deutscher und europäischer Rechtslage ausgesetzt und legte dem Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, wie – verkürzt formuliert – mit dem Art. 8 der Richtlinie 2008/94 umzugehen ist.

Art. 8 Richtlinie 2008/94:

„Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aus dessen Unternehmen oder Betrieb bereits ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der einzelstaatlichen gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden.“

Nach Deutscher Rechtslage – genauer: § 7 Abs. 1 BetrAVG – sind nämlich Pensionskassenzusagen nicht insolvenzgesichert. Gesichert sind nur unmittelbare Versorgungszusagen.

  • 7 Abs. 1 S. 1 BetrAVG:

„(1) Versorgungsempfänger, deren Ansprüche aus einer unmittelbaren Versorgungszusage des Arbeitgebers nicht erfüllt werden, weil über das Vermögen des Arbeitgebers oder über seinen Nachlaß das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und ihre Hinterbliebenen haben gegen den Träger der Insolvenzsicherung einen Anspruch in Höhe der Leistung, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre.“

Der Gesetzgeber sah für eine Insolvenzsicherung keine Notwendigkeit, da im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers immer noch die Pensionskassen zur Stelle sind – so der Ansatz bei Schaffung der Norm. Die Geschichte zeigt aber etwas anderes: Auch die Pensionskassen können finanzielle Probleme bekommen.

Das LAG Köln urteilte in Bewusstsein der deutschen Rechtslage bereits 2015 (LAG Köln, Urteil vom 02.10.2015, Az. 10 Sa 4/15), dass die Einstandspflicht des Arbeitgebers (geregelt in § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG) eine unmittelbare Versorgungszusage ist, die einem Schutz durch die PSV gemäß § 7 Abs. 1 BetrAVG unterfällt. Anders sehen das BAG und herrschende Literatur. Ersterer trug seine Auffassung in dem hier besprochenen Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vor.

Jedoch macht der EuGH in dieser Entscheidung klar, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94 entsprechende Ansprüche absichert, jedoch Kürzungen respektive ein Wegfall durch legitime wirtschaftliche und soziale Ziele begründet seien können, wenn sie darüber hinaus auch verhältnismäßig sind. Weiterhin muss der Rentenbezieher zumindest die Hälfte seiner Leistungen bekommen, es sei denn, die Kürzung würde den Anspruchsberechtigten in die Gefahr der Armut bringen.

Darüber hinaus macht der EuGH deutlich, dass die Richtlinie auch unmittelbare Wirkung im Verhältnis Arbeitnehmer und privatrechtlicher Einrichtung, die durch den Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung bestimmt ist, entfaltet. Gleichwohl wird das BAG den PSV wohl kaum als eine solche Einrichtung anerkennen.

Bewertung

Der EuGH schreibt mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung fort. Wenngleich der EuGH den Schutz der Betriebsrente stärkt, wird der B damit rechnen müssen, dass ihm die Deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit einen Anspruch auf Deckung der Kürzungen versagen wird, weil diese legitim und verhältnismäßig sind.

Der EuGH stellt klar, dass die aktuelle deutsche Rechtslage nicht mit dem EU-Recht in Einklang steht und es nicht sein kann, dass bei Ausfall von Pensionskassen und auch Arbeitgebern kein Schutz des Rentenbeziehers besteht. Gleichwohl zeigt der EuGH, dass es Fälle geben kann, in denen eine Ausnahme denkbar ist – so in diesem besprochenen Fall, wo die Kürzung wohl legitim und verhältnismäßig ist.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bereits Anfang Dezember die Entscheidung des EuGH kommen sehen und einen entsprechenden Gesetzesentwurf (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze) vorgelegt, der eine Einbeziehung der PSV in den Schutzbereich des § 7 Abs. 1 BetrAVG vorsieht. Der Gesetzgeber wird demnach sogar einen 100%igen Schutz gewährleisten und nicht etwa Ausnahmen vorsehen wollen. Gleichwohl hätte das BAG natürlich auch das Anstoßen des Vorabentscheidungsverfahrens unterlassen können und sich der vorherigen Entscheidung des LAG Köln mit der herrschenden Literatur anschließen können, um einen Schutz des Anspruchs zu gewährleisten. Damit hätte das BAG auch die eher fragwürdige Auffassung des Gesetzgebers auffangen können, dass Pensionskassen nicht in finanzielle Schieflage geraten können.

Für weitere Fragen zu der Entscheidung stehen Ihnen unsere Fachanwälte in Bonn zur Verfügung.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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