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Arbeitsrecht: Überfülltes Mailpostfach bei öffentlichem Arbeitgeber entschuldigt keine Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu Bewerbungsgespräch

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.01.2020 – 8 AZR 484/18, Pressemitteilung Bundesarbeitsgericht Nr. 5/20

Hintergrund

Anfang August 2015 bewarb sich der Kläger via Mail für eine Stelle im Gerichtsvollzieherdienst im Oberlandesgerichtsbezirk Köln. Ausdrücklich wies der Kläger in seiner Bewerbung auf den Grad seiner Behinderung von 30 und die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen hin. Trotz nicht offensichtlich fehlender Eignung für die Stelle wurde er jedoch nicht zum Vorstellungsgespräch geladen.

Daraufhin beanspruchte er vom Land (Beklagter) eine Entschädigung in Höhe von 7.434,39 EUR – das entspricht der Summe von drei Monatsgehältern der ausgeschriebenen Stelle und nach § 15 Abs. 2 AGG dem rechtlich höchstmöglichen Entschädigungsbetrag – nach den Vorschriften des AGG. Dieser Forderung setzte das Land entgegen, dass die Bewerbung wegen des schnell gefüllten Outlook-Mailspostfachs und mangelhafter Absprachen innerhalb des die Stelle ausschreibenden Gerichts nicht in den Geschäftsgang gekommen sei. Aufgrund dieser Umstände läge bereits keine den Anspruch nach dem AGG begründende Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung respektive Schwerbehinderung vor.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab ihr teilweise statt – mit einer Entschädigung von 3.717,30 EUR  – und die Revision des Landes vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) bleibt erfolglos.

Gründe

Das Sozialgesetzbuch IX (§ 82 S. 2 alte Fassung (im Streitfall noch maßgeblich) und § 165 S. 3 neue Fassung) schreibt ausdrücklich vor, dass schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch bei einem öffentlichen Arbeitgeber immer eingeladen werden müssen, wenn ihnen die fachliche Qualifikation für die Stelle nicht offensichtlich fehlt.

Nach § 22 AGG wiederum ist im Falle des Nachweises von Indizien, die eine Benachteiligung nach dem AGG nahelegen, durch die andere Partei des Prozesses der Beweis zu erbringen, dass tatsächlich keine Benachteiligung im Sinne des AGG vorliegt.

Soweit erst mal die rechtliche Ausgangssituation.

Dem folgend musste der Kläger zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Durch die Anzeige seiner Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch hat er die erforderlichen Indizien für eine Benachteiligung nach dem AGG beigebracht.

Das Revisionsgericht stimmt nun mit seinem Urteil der Auffassung des in der Berufungsinstanz entscheidenden LAG zu, dass ein gefülltes Mailpostfach kein ausreichender Grund ist, der die Vermutung widerlegt, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung bzw. Behinderung benachteiligt wurde.

Bewertung

Aus rechtlicher Sicht besteht keine andere Möglichkeit als die Bejahung eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Wenngleich das LAG nur das 1,5 fache an denkbarer Entschädigungssumme zubilligte, weil die Nichteinladung des Bewerbers rein tatsächlich wegen grober Organisationsfehler erfolgte, ist klar, dass der Bezeichnung des Arbeitsgerichtes nur zuzustimmen ist: Das OLG hat eine „suboptimale Ausstattung“. Es ist widersprüchlich, wenn gerade die öffentlichen Arbeitgeber qua oben bezeichneter Norm mit gutem Beispiel voran die Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung vermeiden sollen und gleichzeitig nicht die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Bewerbungen – auch von Schwerbehinderten – entgegennehmen zu können. Darüber hinaus liegt das Risiko in dem Moment nicht mehr beim Bewerber, in dem die Bewerbung zugegangen ist. Das die Kenntnisnahme dann nicht erfolgt, liegt in der Risikosphäre des Arbeitgebers.

Im Ergebnis ist klar: Um sich als öffentlicher oder auch von § 165 SGB IX befreiter privater Arbeitgeber vor Entschädigungsansprüchen nach dem AGG schützen zu können, müssen die technischen Voraussetzungen für die Kenntnisnahme von Bewerbungen geschaffen werden. Da heutzutage 1 GB Datenvolumen nur wenige Cent kostet, sollte es selbst für schmale Kassen möglich seien, die Postfachgröße von 300 MB pro Arbeitsplatz zu steigern.

Unsere Fachanwälte in Bonn beraten insbesondere zu allen im Zusammenhang mit dem AGG stehenden Fragestellung – auch vor einem Streitfall.

Julia Wulf
Rechtsanwältin

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