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Medizinrecht: Befunderhebungsfehler durch Verwendung eines nur notdürftig reparierten CTG

Bundesgerichthof, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 294/17

Hintergrund

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens sowie auf Feststellung nach ärztlicher Geburtshilfe in Anspruch. Der Beklagte zu 1) ist Belegarzt in der Klinik der Beklagten zu 3). Die Beklagte zu 2) war Angestellte des Belegarztpersonals.Sie hat die Geburt des Klägers am 20.10.2004 geleitet und befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Weiterbildung zum Facharzt. Die mit dem Kläger schwangere Mutter wurde am 18.10.2004 auf Anordnung des Beklagten zu 1) wehen Überschreitung des errechneten Geburtstermins stationär in die Klinik der Beklagten zu 3) aufgenommen. Am Morgen des 20.10.2004 wurde sie in den Kreißsaal verlegt und an den Wehentropf angeschlossen. Zudem erfolgte eine CTG-Dauerüberwachung. Um 15:52 Uhr kann es zum Blasensprung. Nach 16 Uhr wurde das CTG-Gerät ausgewechselt, nachdem es mit dem ersten Gerät Schwierigkeiten gegeben hatte. Um 16:45 Uhr wurde der Kläger durch die Beklagte zu 2) entbunden. Er musste wegen Herz- und Kreislaufstillstands beatmet werden.

Der Kläger litt u.a. unter einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie, zentralen Tonus- und Koordinationsstörungen, allgemeiner Entwicklungsstörung, zentralen Bewegungsstörungen sowie einer expressiven Sprachstörung. Er wurde in die Pflegestufe 2 eingruppiert. Diese Beschwerden führt der Kläger auf eine von den Beklagten zu verantwortende Sauerstoffunterversorgung im Mutterleib unter zurück.

Das Landgericht gab der Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) im Wesentlichen statt und wies die Klage gegen die Beklagte 3) ab. Das Oberlandesgericht wies die Klage insgesamt ab. Auf die Revision des Klägers hob der Bundesgerichthof das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück.

Gründe

Auf der Grundlage der dem Kläger günstigen Sachverhaltsvariante, wonach das Ersatzgerät erst um 16:37 Uhr angeschlossen wurde, lässt sich ein Ersatzanspruch des Klägers nicht verneinen. Ein solcher ergäbe sich bei dieser Sachlage und unter Zugrundelegung des vom OLG als wahr unterstellten Vortrags des Klägers vielmehr unter dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsfehlers.

Kardiotokographie (CTG) ist die simultane Registrierung und Aufzeichnung der Herztöne des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit der werdenden Mutter (Herz-Wehenschreiber). Ein Dauer-CTG während der Geburt war bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2004 medizinischer Standard. Die Durchführung eines geplanten Geburtsvorgangs mit einem von vornherein nur notdürftig mit Heftpflaster geflickten CTG-Gerät wäre daher von Beginn an als Behandlungsfehler zu kategorisieren. Dieser wirklich erst und nur dann aus, wenn das Gerät infolge des Defekts unrichtige oder unvollständige Befunde liefert.

Die Fehlerhaftigkeit des Vorgehens entfällt auch nicht deshalb, weil die akustischen Signale auch nach dem Ausfall der Schreibfunktion weiterhin zu hören waren und weil der von der Beklagten zu 2) behelfsmäßig vorgenommene manuelle Abgleich mit dem Pulsschlag der Mutter in der konkreten Situation eines Ausfalls der Schreibfunktion des CTG-Geräts unter der Geburt nicht zu beanstanden ist. Insofern ist vielmehr zu unterscheiden zwischen einem nicht immer vermeidbaren kurzfristigen Funktionsausfall und einem – wie hier – von vornherein bestehenden Mangel mit ansehbaren Fehlerfolgen. Entsprechen früher setzt der Pflichtwidrigkeitsvorwurf rechtlich im Streitfall an, wobei er entsprechend dem jeweiligen Verantwortungsbereich der Beklagten an das Bereithalten oder die Verwendung eines fehlerhaften Geräts knüpft.

Der Ausfall jedenfalls der Schreibfunktion des CTG-Geräts beruhte nach dem vom OLG als wahr unterstellen Vortrag des Klägers auf dem bereits zuvor bestehenden Defekts des Geräts, der sich nunmehr realisierte, indem der nur nutdürftig mit Heftpflastern befestigte Stecker im Zuge des Papierwechsels herausfiel und sich danach wehen eines abgebrochenen Plastikteils nicht mehr richtig befestigen ließ, woraufhin das Gerät unvollständige Befunde lieferte. Bei weiterhin ordnungsgemäßer Aufzeichnung der Herztöne des Kläger wäre die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Unterversorgung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit offenbar geworden und hätte eine Reaktion der Beklagten zu 2) erfordert, nämlich eine Entscheidung über die sofortige Entbindung des Klägers etwa in Gestalt der Vakuumextraktion oder der Sectio. Dass das Absehen von einer Reaktion der Beklagten zu 2) unter den für dem Kläger lebensbedrohlichen Umständen des Falles grob fehlerhaft gewesen wäre, käme dem Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des Senates eine Umkehr der Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität von Pflichtverletzung und Schaden zugute.

Im weiteren Verfahren wird das OLG zunächst festzustellen haben, wie lande das defekte CTG-Gerät trotz der nach 16 Uhr aufgetretenen Aufzeichnungslücken noch in Betrieb gelassen und wann das Ersatzgerät angeschlossen wurde. Sodann wird sich das OLG eine Überzeugung davon zu bilden haben, ob es auch bei Verwendung eines funktionstüchtigen Gerätes zu einer nicht erkennbaren Fehlableitung der Herztöne gekommen wäre. In Abhängigkeit hiervon wird es ggf. weiter aufzuklären haben, ob der Defekt des CTG-Geräts bereits am Morgen des 20.10.2004 bestand, ob dies für die Beklagten zu 1) und 3) zurechenbar erkennbar war und wer im Belegarztverhältnis der Beklagten zu 1) und 3) für die Funktionsfähigkeit des CTG-Geräts verantwortlich war. Für die Beurteilung einer Haftung der Beklagten zu 2) wird ggf. zu klären sein, wann diese die ärztliche Leitung des Geburtsvorgangs übernommen hat und ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt sie ihrerseits Kenntnis von dem Defekt des CTG-Geräts hätte erlangen können.

Bewertung

Eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden des Patienten ergibt sich, wenn sich die unterbliebene Befunderhebung bereits für sich genommen als grober Behandlungsfehler darstellt. Das ist dann der Fall, wenn dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, der – da er einem ordnungsgemäß arbeitenden Facharzt schlechterdings nicht passieren darf – aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist.

Der für die Annahme eines Befunderhebungsfehlers erforderliche Pflichtwidrigkeitsvorwurf kann darin bestehen, dass die medizinisch gebotene Befundung mit einem von Beginn an nur notdürftig reparierten Geräten unternommen wird. Das gilt auch dann, wenn das Gerät zunächst noch verwertbare Aufzeichnungen liefert.

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