Permalink

0

DRG-Recht: Nachträgliche Definition eines DRG-Codes unterliegt nicht dem Verbot echter Rückwirkung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 22.02.2018

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist ein im Rahmen der Widerklage geltend gemachter Erstattungsanspruch der beklagten Krankenkasse i.H.v. 4.520,93€. Die bei der Beklagten, 1958 geborene, versicherte Patientin wurde nach einem Sturz vom 18.05.2012 bis zum 13.06.2012 im klägerischen Krankenhaus stationär behandelt. Die von der Klägerin mit Rechnung vom 19.6.2012 auf Basis der DRG I34Z unter Anwendung des OPS-Codes 8-550.1(geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) in Rechnung gestellte Summe von 10.811,35 EUR beglich die Beklagte im Jahr 2012 vorbehaltlos.

Mit Schreiben vom 23.03.2016 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) mit, sie habe keine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung abrechnen dürfen, da die Versicherte noch nicht 60 Jahre alt gewesen sei und rechnete den dafür angesetzten Betrag mit unstreitigen Forderungen auf. Die Klägerin machte daraufhin die Zahlung der restlichen 4.520,93€ der Ursprungsrechnung gerichtlich geltend.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 12.7.2017 abzuändern und die Widerklage abzuweisen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Gründe

Rechtsgrundlage für den in der Widerklage geltend gemachten Zahlungsanspruch der Beklagten sei der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser setze eine durchsetzbare, rechtsgrundlose Leistung der Beklagten voraus. Da die Versicherte das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, sei die Klägerin nicht zur Abrechnung der Krankenhausbehandlung als geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach DRG I34Z bzw. unter Anwendung des OPS-Codes 8-550.1 für 10.811,35€ befugt. Sie hätte lediglich einen Vergütungsanspruch i.H.v. 6.290,42€ gem. DRG I08F. Die Zahlung der Beklagten iHv 4.520,93€ sei somit rechtsgrundlos erfolgt.

Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) den Begriff „geriatrisch“ definiert und festgelegt, dass von einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung nur bei Patienten ab Vollendung des 60. Lebensjahrs gesprochen werden könne. Dass die Beklagte diese höchstrichterliche Auslegung des Begriffs auch auf die 2012 erfolgte Behandlung der Versicherten übertragen habe, verstoße nicht gegen das sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Verbot echter Rückwirkung. Denn im vorliegenden Fall gehe es nicht um eine durch die Legislative festgelegte Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Vielmehr werde hier der jedenfalls seit 2005 in dem OPS 8-550 verwandte Begriff der „geriatrischen rehabilitativen Komplexbehandlung“, der erst durch das Urteil des Bundessozialgerichts definiert wurde, höchstrichterlich ausgelegt. Für diese – naturgemäß immer in der Vergangenheit liegende Sachverhalte betreffende – Aufgabe der Rechtsprechung könne das Verbot der echten Rückwirkung nicht gelten.

Die Erstattung ohne Rechtsgrund gezahlter Krankenhausvergütung sei insbesondere nicht in entsprechender Anwendung des § 814 BGB ausgeschlossen, denn die Beklagte zahlte im Jahr 2012 nicht in Kenntnis ihrer Nichtschuld. Aus der Rechnung vom 19.6.2012 seien zwar das Geburtsdatum der Versicherten ebenso wie die Behandlungsdaten ablesbar gewesen, nicht jedoch Anhaltspunkte, die Fragen nach dem biologischen Alter der Versicherten hätten beantworten könnten.

Schließlich sei der Erstattungsanspruch auch nicht verwirkt. Aus dem Umstand, dass die Beklagte die Rechnung ohne Erklärung eines Vorbehalts zahlte, ergebe sich kein die Verwirkung auslösendes Verhalten. Denn § 15 Abs. 1 S 1 Sicherstellungsvertrag schreibe ein Begleichen der Rechnung innerhalb von 15 Kalendertagen vor. Insbesondere gäbe es zwischen den Parteien keine Praxis, die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach dem biologischen Alter der Patienten zu beurteilen und abzurechnen. Der bloße Zeitablauf und der Umstand, dass die Klägerin bis kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist mit der Geltendmachung ihrer Forderung gewartet habe, genüge deshalb als ein die Verwirkung begründendes Verhalten nicht.

Bewertung

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wird dem Fall unter Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze gerecht. Zudem führt es billigenswert aus, dass in der höchstrichterlichen Auslegung kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt. Das Urteil hält die Krankenhäuser dazu an, die einer Behandlung entsprechenden, passgenauen DRG-Codes zu verwenden und kommt somit zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern

Ihre Meinung interessiert uns!

Hinterlassen Sie uns ihr Feedback und diskutieren Sie mit uns über aktuelle wirtschaftsrechtliche Fälle aus den Bereichen Arbeitsrecht, Medizinrecht, Marken- und Designrecht sowie weiteren Themen. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen.

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.