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Medizinrecht: Substantiierungspflicht der Parteien im Arzthaftungsprozess

Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 02.07.2018 – 8 W 18/18

Hintergrund

Der Antragssteller und Beschwerdeführer erhielt im Januar 2015 im Rahmen einer Hyposensibilisierung mehrere Spritzen von der Antragsgegnerin. Einige Tage darauf erlitt der Beschwerdeführer einen Schlaganfall. Er behauptet, er sei aufgrund seines bereits 2013 attestierten und nicht behandelten Bluthochdrucks Hochrisikopatient, wodurch bei ihm keine Hyposensibilisierung hätte vorgenommen werden dürfen.Die Antragsgegnerin hätte sowohl die Pflicht gehabt, vor der Behandlung eine Blutdruckmessung durchzuführen als auch über mögliche Risiken der Behandlung zu informieren und im gleichen Zuge auch aufzuklären. Weiter behauptet es die Ursächlichkeit der Hyposensibilisierung für den Schlaganfall.

Der Beschwerdeführer beantragte daher Prozesskostenhilfe zur klageweisen Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 50.000 € sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Antragsgegnerin in Bezug auf etwaige materielle Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom Januar 2015. Die Antragsgegnerin behauptet, sie habe den Beschwerdeführer mündlich aufgeklärt und ihm einen schriftlichen Aufklärungsbogen überreicht sowie ihn nach Erkrankungen gefragt.

Das Landgericht wies den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe zurück, da die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Beschwerdeführer habe nicht ausreichend substantiiert zur Kausalität der Hyposensibilisierung für den Schlaganfall und die Schäden vorgetragen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte vor dem Oberlandesgericht Erfolg.

Gründe

Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann die Voraussetzung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht verneint werden. An die Voraussetzungen der hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht in einem Verfahren über die Billigung von Prozesskostenhilfe soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst vorwegzunehmen und an die Stellte des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Kommt daher eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragsstellers ausgehen würde, so steht es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit entgegen, dem Antragssteller wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern.

Nach diesen Maßstäben bestehen für die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers hinreichende Erfolgsaussichten. Im Streitfall könnte der Beschwerdeführer einen Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 280 Abs. 1, 630a BGB sowie aus § 823 Abs. 1, 2 BGB jeweils i.V.m. den §§ 249, 253 Abs.2 BGB gegen die Antragsgegnerin haben. Zusätzlich könnte auch das Feststellungsbegehren gemäß §§ 280 Abs. 1, 630a BGB und gemäß § 823 Abs.1, 2 BGB begründet sein.

Der Vortrag des Beschwerdeführers reicht zur Substantiierung der Klage, denn an die Substantiierungspflicht der Parteien dürfen im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, da vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann. Der Patient ist insbesondere nicht verpflichtet, sich medizinisches Fachwissen anzueignen. Er darf sich auf den Vortrag beschränken, der die Vernutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes als Grund der Folgen für den Patienten gestattet. Im Streitfall hat der Beschwerdeführer den Behandlungsablauf detailliert angegeben und erklärt, worin die von ihm behaupteten Fehler der Antragsgegnerin gelegen haben sollen. Insbesondere hatte er nicht die Pflicht, die von ihm behauptete Kausalität der Hyposensibilisierung und dem Schlaganfall genauer zu erläutern.

Es kann momentan nicht beurteilt werden, ob die Behandlung fehlerhaft war und zum Schlaganfall geführt hat. Es fehlt daher an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen wird.

Bewertung

Bei der sog. Substantiierungspflicht handelt es sich um die konkrete Behauptungslast, welche die Pflicht zur Konkretisierung des Sachvortrags der Parteien regelt. Ihre gesetzliche Grundlage stellt § 138 ZPO dar. Die konkrete Behauptungslast besagt, dass ein Sachverhalt, welcher trotz der Substantiierungspflicht nicht substantiiert vorgetragen wird, von der generischen Partei nicht beachtet werden muss. Durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main wird deutlich, welcher Maßstab für solch eine Substantiierungspflicht insbesondere im Hinblick auf einen Arzthaftungsprozess gilt. Da von den Patienten grundsätzliche keine fundierten medizinischen Kenntnisse zu erwarten sind und eben diese auch gar nicht gefordert werden, ist eine Substantiierungspflicht weit auszulegen und keine hohen Anforderungen an diese zu stellen.

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