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Reiserecht: Zahlung von Stornierungskosten beim Rücktritt von einer Pauschalreise während der Corona-Pandemie

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 29.02.2024 – C 584/22

Hintergrund

Der Kläger des vorliegenden Falles hatte im Januar 2020 eine Pauschalreise gebucht, die ihn im April 2020 nach Japan führen sollte. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie ergriffen die japanischen Behörden verschiedene Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie, woraufhin der Kläger am 01.03.2020 den Rücktritt von seinem Pauschalreisevertrag aufgrund einer durch die Pandemie bestehenden Gefahr für seine Gesundheit erklärte.

Der beklagte Reiseveranstalter forderte von dem Kläger eine Rücktrittsgebühr von 307 €, die dieser auch leistete. Am 26.03.2020 verhängten die japanischen Behörden ein Einreisevebot. Der Kläger forderte daraufhin die Rückzahlung seiner gezahlten Stornierungsgebühr – dies lehnte der Reiseveranstalter jedoch ab.

Im Zuge einer Erstattungsklage forderte der Kläger zunächst vor dem Amtsgericht München mit Erfolg die Rückzahlung der geleisteten Gebühr. Daraufhin wandte sich der Reiseveranstalter mit einer Berufung an das Landgericht München I, welches eine Erstattung ablehnte, da zum Zeitpunkt der Erklärung des Rücktrittes durch den Kläger am 01.03.2020 keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, wie sie von § 651h Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gefordert werden, vorgelegen hätten. Daher hätte der Beklagte eine Rücktrittsgebühr in Rechnung stellen dürfen.

Dagegen wandte sich der Kläger mit einer Revision an den Bundesgerichtshof. Für den Bundesgerichtshof war nun fraglich, ob vorliegend ein Rücktritt ohne die Zahlung einer Rücktrittsgebühr hätte möglich sein müssen, wenn die maßgeblichen, unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände gegeben waren, da aufgrund einer vor Beginn der Reise abgegebenen Prognose mit einer ernsthaften Gesundheitsgefährdung im Zusammenhang mit der Reise zu rechnen gewesen war.

Bei der vorliegend auszulegenden Regelung des § 651h Abs. 3 BGB handelt es sich um die nationale Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 der unionsrechtlichen Pauschalreiserichtlinie. Daher war es Aufgabe des Europäischen Gerichtshofes, über dessen Auslegung zu entscheiden, weshalb der Bundesgerichtshof das Verfahren aussetzte und dem Europäischen Gerichtshof die Frage, ob für die Beurteilung des Vorliegens unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände auch solche zu berücksichtigen sind, die nach der Erklärung des Rücktritts, aber vor Beginn der geplanten Reise aufgetreten sind.

Gründe

Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass nur solche Umstände zu berücksichtigen sind, die auch schon zum Zeitpunkt der Erklärung des Rücktrittes vorlagen.

Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie statuiert, dass der Reisende ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr von einem Pauschalreisevertrag zurücktreten können muss, wenn an seinem Reiseziel unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen am Reiseziel erheblich beeinträchtigen.

Derartige Umstände können etwa schwerwiegende Sicherheitsrisiken aufgrund von Kriegshandlungen oder Terrorismus, erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit oder Naturkatastrophen sein. Diese Umstände müssen jedoch zum Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich bestehen, andererseits sind diese Umstände jedoch auch in gewisser Hinsicht im Rahmen einer Prognose zu beurteilen, da sich das endgültige Bestehen der Umstände zum Zeitpunkt der Reise erst im Moment der geplanten Abreise zeigt.

Umstände, die sich jedoch erst nach dem Rücktritt vom Vertrag ergeben, können nicht berücksichtigt werden, da sonst gegebenenfalls ein zunächst bestehendes Rücktrittsrecht aufgrund von nach der Rücktrittserklärung auftretenden Umständen wieder entfallen könnte. Derartige widersprüchliche Ergebnisse sollen vermieden werden.

Bewertung

Der Europäische Gerichtshof hat in dem vorliegenden Fall die praxisrelevante Frage entschieden, ob im Falle einer voreiligen Stornierung einer Reise derartige Umstände, die der Reise letztlich ohnehin im Wege gestanden und ein kostenfreies Rücktrittsrecht garantiert hätten, berücksichtigt werden können.

Der Kläger des vorliegenden Falles hatte seine Reise zu Beginn der Corona-Pandemie unter Zahlung der entsprechenden Gebühren storniert. Als wenig später die Grenzen seines Reiselandes geschlossen wurden, hätte ihm ein Rücktrittsrecht zugestanden, ohne, dass er dafür Rücktrittsgebühren hätte übernehmen müssen. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass solche nachträglich hinzukommenden Umstände nicht berücksichtigt werden können, sondern für die Beurteilung einzig und allein der Zeitpunkt der Ausübung des Rücktrittsrechts maßgeblich sein kann.

Der Fall wird nun unter Anwendung dieser Auslegung des § 651h Abs. 3 BGB vor dem Bundesgerichtshof weiterverhandelt, letztlich wird dem Kläger vermutlich die Zahlung der Stornierungsgebühren auferlegt werden.

Matthias Gollor
Anwalt für Reiserecht

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