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Baurecht: Schärfere Aufklärungspflichten beim Verkauf von Immobilien

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.09.2023 – V ZR 77/22, Pressemitteilung Nr. 159/2023

Hintergrund

In dem vorliegenden Fall verkaufte die Beklagte der Klägerin einen Gebäudekomplex mit mehreren, als Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) organisierte Gewerbeeinheiten zu einem Preis von insgesamt 1.525.000 €. Dieser Vertrag wurde notariell beurkundet und eine Sachmängelhaftung ausgeschlossen. Die Verkäuferin stellte dabei im Rahmen der Vertragsverhandlungen der Käuferin den Zugriff zu einem digitalen Datenraum zur Verfügung, in dem diverse Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthalten waren.

Am Freitag vor dem am Montag geplanten Beurkundungstermin stellte die Beklagte ein Protokoll einer Eigentümerversammlung in den Datenraum ein, aus dem sich die Notwendigkeit einer geplanten Umbaumaßnahme ergab, im Zuge derer die Eigentümer der Gewerbeeinheiten jeweils eine Sonderumlage von 750.000 € zahlen sollten, um die Gesamtkosten von 50 Mio. € zu decken. Diese Zahlungspflicht ergab sich aus einem diesbezüglich geschlossenen Vergleich.

In dem notariell geschlossenen Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin, dass keine Beschlüsse gefasst seien, die eine Sonderumlage der Käuferin erfordern würden, und derartige Sonderkosten auch ihrer Kenntnis nach nicht ersichtlich bevorstünden. In dem Vertrag wurde außerdem festgehalten, dass der Käuferin die Protokolle der Eigentümerversammlungen aus den vergangenen drei Jahren übermittelt wurden und die Käuferin Kenntnis von deren Inhalt habe.

Die Klägerin wurde daraufhin ordnungsgemäß im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Auf Grundlage des Vergleichs der WEG wurde die Klägerin nun auf Zahlung in Höhe von 750.000 € in Anspruch genommen. Diese erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung sowie hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte klageweise die Rückzahlung des Kaufpreises und die Befreiung der zur Finanzierung des Kaufpreises eingegangenen Verbindlichkeiten wie etwa einer Darlehensaufnahme.

Das Landgericht Hildesheim wies die Klage erstinstanzlich ab, das Oberlandesgericht Celle ebenfalls. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit einer Revision an den Bundesgerichtshof – mit Erfolg.

Gründe

Der Bundesgerichtshof hat in diesem maßgebenden Urteil die Aufklärungspflichten für Verkäufer einer Immobilie verschärft und im vorliegenden Fall eine Verletzung der Klägerin hinsichtlich ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflicht angenommen. Die Beklagte hätte die Klägerin zum einen ungefragt über die Notwendigkeit der anstehenden baulichen Maßnahmen in Höhe von 50 Mio. € aufklären müssen, da diese unzweifelhaft für die Klägerin von einer ersichtlichen Relevanz waren.

Indem die Beklagte das entsprechende Protokoll der Eigentümerversammlung in den virtuellen Datenraum einstellte, genügte sie ihren Aufklärungspflichten nicht, da die Möglichkeit, sich hinsichtlich bestehender Mängel des Kaufobjektes zu informieren, bei einem virtuellen Datenraum nicht in ähnlicher Weise wie bei einer Besichtigung vor Ort besteht. Insbesondere kann der Verkäufer nicht davon ausgehen, dass der Käufer die in den Datenraum eingestellten Dateien gerade mit Hinblick auf Mängel des Kaufobjekts durchsehen wird.

Eine gesonderte Aufklärung des Verkäufers ist also vielmehr nur dann nicht nötig, wenn der Verkäufer – etwa bei einer Due Diligence – berechtigterweise davon ausgehen kann, dass der Käufer diese Daten wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung mit einfließen lassen wird. Lediglich aufgrund des Umstandes, dass sich diese Dateien in dem virtuellen Datenraum befinden, wird der Verkäufer nicht von seiner Pflicht frei, den Käufer über offenbarungspflichtige Umstände gezielt zu informieren.

Vorliegend durfte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin das Protokoll zur Kenntnis nehmen wird, zumal es derart kurz vor dem Notartermin erst in den Datenraum eingestellt wurde, sodass die Käuferin sich nicht veranlasst sehen musste, zuvor noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen. Dazu hätte es eines expliziten Hinweises der Beklagten bedurft. Der Bundesgerichtshof hat daher einen Schadensersatzanspruch der Klägerin bejaht und das Verfahren insofern an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Bewertung

Der gängigen Praxis, dass im Vorlauf zu dem Verkauf von Immobilien dem Käufer verschiedene Dokumente in einem digitalen Datenraum zur Verfügung gestellt werden, sodass dieser sich davon Kenntnis verschaffen kann und im Rahmen der notariellen Beurkundung die Kenntnis des Käufers hinsichtlich der dortigen Daten fingiert wird, sodass eine Verkäuferhaftung hinsichtlich dieser Daten ausgeschlossen wird, erteilt dieses aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs eine Absage.

Über das Einstellen dieser Informationen in den digitalen Datenraum hinaus ist zusätzlich bei wesentlichen Umständen, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sind, eine Aufklärung seitens des Verkäufers nötig. Dieser Pflicht kann der Verkäufer sich daher nicht entziehen, zumal es dem Käufer nicht zumutbar ist, derartige wesentliche Informationen aus einer großen Menge an Daten herauszufiltern, erst recht nicht, wenn sie derart versteckt sind wie in dem vorliegenden Fall. Eine zusätzliche Hinweispflicht des Verkäufers kann daher nur ausgeschlossen sein, wenn der Käufer etwa im Rahmen einer Due-Diligence-Prüfung sich auf eine eigene Erfahrung oder auf die von professionellen Beratern berufen kann.

Claudia Lorig
Anwältin für Baurecht

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