
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 19.10.2023 – C 660/20
Hintergrund
Der Europäische Gerichtshof hat sich kürzlich mit einer Vorlagefrage das Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten zu Vollzeitbeschäftigten im Rahmen der erhöhten Vergütung wegen Überschreitung einer gewissen Anzahl an Überstunden beschäftigt.
In dem konkreten Verfahren hatte ein deutscher Pilot der Lufthansa CityLine geklagt, der seit 2010 als Teilzeitbeschäftigter mit einem Arbeitsumfang von 90 % tätig ist und eine Vergütung entsprechend seiner geleisteten Flugdienstzeit erhält. Über diese Vergütung hinaus kann jedoch auch ein Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung entstehen, wenn eine bestimmte Anzahl an monatlichen Flugstunden überschritten wird. Diese maßgebliche Anzahl an Flugstunden ist jedoch für Vollzeit- und Teilzeitangestellte gleich.
Der klagende Pilot sah darin eine Ungleichbehandlung und verlangte, dass dieser Schwellenwert aufgrund seiner Teilzeittätigkeit entsprechend im Verhältnis herabzusetzen sei. Die beklagte Lufthansa Cityline sah für diese Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund, da Teilzeit- und Vollzeitangestellte insofern unterschiedlich behandelt werden könnten. Durch die zusätzliche Vergütung solle eine besondere Arbeitsbelastung ausgeglichen werden, die sich nur aus der Überschreitung der Auslösegrenzen ergebe.
Das Amtsgericht München gab der Klage des Piloten zunächst statt, das Landesarbeitsgericht München wies die Klage dahingegen ab. Der Pilot wandte sich daher an das Bundesarbeitsgericht, welches sich wiederum an den Europäischen Gerichtshof wandte. Dabei ging es um die Beantwortung der Frage, ob eine nationale deutsche gesetzliche Regelung, in der bestimmt ist, dass ein Teilzeitbeschäftigter in dem gleichen Umfang wie ein Vollzeitbeschäftigter Arbeitsstunden leisten muss, um eine zusätzliche Vergütungszahlung zu erhalten, eine unionsrechtswidrige Diskriminierung darstellt.
Gründe
Der Europäische Gerichtshof bejahte die Frage und stellte darüber hinaus fest, dass Beschäftigte in Teilzeit und in Vollzeit gleich zu behandeln sind und kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung besteht. Da die Tätigkeit beider Kategorien von Arbeitnehmern die Gleiche ist, sind diese Arbeitnehmer miteinander vergleichbar und daher auch gerecht und in der gleichen Art und Weise zu behandeln.
Von einem Piloten in Teilzeitarbeit die Ableistung der gleichen Anzahl an Flugstunden zu verlangen wie von einem Piloten in Vollzeit, um eine zusätzliche Vergütung zu erlangen, belaste den Teilzeitpiloten unangemessen, da dieser verhältnismäßig gemessen an der Gesamtarbeitszeit eine längere Zeit ableisten müsse. Teilzeitbeschäftigte Piloten sind daher in einem höheren Maße benachteiligt und werden die Anspruchsvoraussetzungen für eine zusätzliche Vergütung deutlich seltener erfüllen können als die in Vollzeit arbeitenden Piloten.
Eine solche Ungleichbehandlung kann, so der Europäische Gerichtshof, nur unionsrechtlich gerechtfertigt werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch eine Frage, die das Bundesarbeitsgericht zu eruieren hat. Der Europäische Gerichtshof äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten als Rechtfertigungsgründe vorgebrachten Erwägungen. Die Lufthansa Cityline begründete die Festsetzung einheitlicher Auslöseschwellen mit dem Vorliegen einer besonderen Arbeitsbelastung und deren Auswirkungen auf die gesundheitliche Verfassung der Piloten. Diesbezüglich hegte der Europäische Gerichtshof Zweifel.
Bewertung
Der Europäische Gerichtshof stärkt mit diesem Urteil die Rechte von Teilzeitbeschäftigten, indem er den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, welcher besagt, dass Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte gleich zu behandeln sind, und ein Arbeitgeber keine Teilzeitbeschäftigung benutzen darf, um dem Arbeitnehmer derartige Rechte abzusprechen, die Vollzeitbeschäftigte zustehen, weiter konkretisiert.
Piloten, die in Teilzeit beschäftigt sind üben die gleiche Art der Arbeit aus, durchlaufen die gleiche Ausbildung und erfahren die gleichen Arbeitsbedingungen wie solche, die in Vollzeit tätig sind, daher darf eine Mehrvergütung nicht an eine pauschal abzuleistende Stundenanzahl angeknüpft werden. Diese Schwelle muss vielmehr im Verhältnis zu der individuellen Arbeitszeit angepasst werden.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz greift somit auch hinsichtlich etwaiger Bonuszahlungen durch den Arbeitgeber. Eine Ausnahme darf nur gemacht werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Ob dies im vorliegenden Fall zutrifft, wird das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden haben, wobei der Europäische Gerichtshof seine Bedenken diesbezüglich bereits geäußert hat.
Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.