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Medizinrecht: Persönliche Anhörung des Patienten bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.06.2022 – VI ZR 310/21

Hintergrund

Der Kläger war Patient bei dem beklagten Augenarzt und ließ von diesem im Februar 2017 einen Augen-Lasereingriff als Behandlung seiner Kurzsichtigkeit durchführen. Der beklagte Augenarzt führte eine sogenannte LASIK-Laserbehandlung unter Vollnarkose durch, wobei er den Kläger zuvor hinsichtlich dieser Behandlungsmethode aufgeklärt hatte.

Während der Behandlung kam es zu Komplikationen, sodass der Beklagte die LASIK-Behandlung abbrach und stattdessen eine photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (kurz: PRK) an beiden Augen des Klägers vornahm. Über diese Art der Laserbehandlung hatte der Beklagte den Kläger zuvor nicht aufgeklärt. Im Nachgang dieser Operation bemerkte der Patient Symptome wie Sehbeschwerden und trockene Augen, welche er auf die Laserbehandlung zurückführte.

Die Klage des Patienten vor dem Landgericht Potsdam scheiterte, und das Oberlandesgericht Brandenburg wies die darauffolgende Berufung des Klägers zurück. Dagegen wandte sich der Kläger erfolgreich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof.

Gründe

Der Bundesgerichtshof gab der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers statt, da er dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Oberlandesgericht Brandenburg verletzt sah, indem dieses keine persönliche Anhörung des Klägers vornahm.

Das Oberlandesgericht begründete den Verzicht auf eine persönliche Anhörung des Klägers mit der Ansicht, dass der vom beklagten Arzt erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreifen würde.

Grundsätzlich ist ein Patient durch den Behandelnden vor der Durchführung einer Maßnahme hinreichend aufzuklären. Ist dies nicht erfolgt, kann der Behandelnde einwenden, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (sog. hypothetische Einwilligung).

Auf diesen Einwand der hypothetischen Einwilligung kann sich der Arzt in einem Streitfall berufen, wobei der Patient dagegen widersprechen kann, indem er darlegt, dass er auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Maßnahme nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt oder lediglich unter anderen Umständen zugestimmt, sich also in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Hat der Patient dies gerichtlich vorgetragen, so liegt die Beweislast hinsichtlich einer hypothetischen Einwilligung dann auf Seiten des Behandelnden.

Der Kläger hatte in diesem Fall schriftlich vorgetragen, dass er einer PRK nicht zugestimmt hätte. Die dazu später angeführte Begründung des Klägers, dass diese Behandlung nach seinem Kenntnisstand nicht unter Vollnarkose möglich gewesen wäre, wurde vom Beklagten bestritten. Das Oberlandesgericht sah den Entscheidungskonflikt des Klägers daher nicht als hinreichend dargelegt und wies die Berufung ohne eine persönliche Anhörung des Klägers ab.

Der Bundesgerichtshof rügte, dass darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers lag. An die Substantiierungspflicht des Patienten hinsichtlich dessen Entscheidungskonflikts seien seitens des Gerichts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der Kläger muss jedoch genügend Gelegenheit haben, seine persönlichen Entscheidungsgründe darzulegen. Die Ausführung des Klägers, er hätte einer PRK nicht zugestimmt und seine Erwägungsgründe, wie etwa, dass er – wenn auch fälschlicherweise – davon ausging, die PRK ließe sich nicht unter Vollnarkose durchführen, hätten in die Entscheidung des Gerichts einfließen müssen.

Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Bewertung

Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung verdeutlicht, dass Feststellungen über das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung des Patienten grundsätzlich nicht ohne dessen persönliche Anhörung getroffen werden dürfen.

Durch eine persönliche Anhörung hat das Gericht die Möglichkeit, das Vorliegen eines Entscheidungskonflikts in der Person des Klägers durch gezielte Nachfragen und die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks zu beurteilen. Insbesondere müssen auch vermeintlich unvernünftige oder widersprüchliche, aber dennoch individuell wichtige Entscheidungserwägungen des Patienten hinsichtlich des Für und Wider einer Behandlungsmaßnahme das Gehör des Gerichts finden.

Der Tatrichter darf nicht aufgrund von naheliegenden oder mutmaßlich legitimen Gründen zu vorschnellen Schlüssen gelangen und dementsprechende Feststellungen treffen. Vor allem darf der Tatrichter nicht seine eigene Beurteilung der Entscheidungssituation an die des Patienten setzen.

Hinzu kommt, dass die objektiven Umstände der Entscheidungssituation und der vorherigen Aufklärung durch den Arzt zwischen den Parteien strittig geblieben sind, sodass eine sichere Beurteilung des Vorliegens einer hypothetischen Einwilligung durch den Tatrichter schon allein deshalb nicht möglich war.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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