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Familienrecht: Keine persönliche Betreuungspflicht des Bevollmächtigten gegenüber dem Vollmachtgeber

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2022 – XII ZB 212/22

Hintergrund

Kläger sind die Betroffene und ihr Ehemann, die sich gegen die Einrichtung einer Betreuung und gegen die Bestellung einer Berufsbetreuerin für die Betroffene wenden. Die Betroffene ist von einer paranoiden Schizophrenie sowie einer Lungenerkrankung und einer chronischen Schmerzstörung betroffen. Für die Betroffene war seit Februar 2019 für bestimmte Aufgabenkreise eine Betreuerin bestellt.

Im August 2021 erteilte die Betroffene ihrem Ehemann eine umfassende Vorsorgevollmacht und beantragte gerichtlich, die Betreuung aufzuheben und ihren Ehemann zum Betreuer zu bestellen. Das Amtsgericht lehnte die Aufhebung der Betreuung und den Betreuerwechsel ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde vor dem Landgericht wurde ebenfalls abgelehnt.

Die Kläger haben sich mit einer Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Münster an den Bundesgerichtshof gewandt. Dieser hat die Beschwerden als begründet erachtet, den Beschluss aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht begründete die Ablehnung der Aufhebung der Betreuung und des Betreuerwechsels zu dem Ehemann der Betroffenen mit dessen Ungeeignetheit als Betreuer.

Grundsätzlich ist eine Betreuung nicht erforderlich, wenn die fraglichen Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Dies gelte jedoch ausnahmsweise nicht, wenn der durch die Vorsorgevollmacht Bevollmächtigte nicht geeignet sei, die Betreueraufgaben wahrzunehmen.

Die Ungeeignetheit des Ehemannes begründete das Landgericht damit, dass dieser lediglich telefonischen Kontakt mit seiner betroffenen Ehefrau halten würde und daher etwa eine gesundheitliche Verschlechterung nicht zuverlässig und schnell genug erkennen und erforderliche Maßnahmen ergreifen könnte. Auch die räumliche Entfernung zwischen dem Wohnort des Ehemanns und dem der Betroffenen von mehreren Stunden Fahrtzeit führte das Landgericht als Grund an, da eine Hilfestellung vor Ort dadurch erschwert würde.

Der Bundesgerichtshof lehnte diese Begründung der Ungeeignetheit als unzureichend ab. Ein Bevollmächtigter sei als Betreuer nur abzulehnen, wenn ansonsten eine konkrete Gefahr für die Interessen des Betroffenen zu befürchten sei, so etwa, wenn es erhebliche Bedenken hinsichtlich der Befähigung oder der Redlichkeit des Bevollmächtigten geben würde.

Die Argumente, dass der Ehemann lediglich telefonischen Kontakt halten könne und zu weit entfernt leben würde, genügten dem Bundesgerichtshof nicht. Zweifel an der Geeignetheit können nur bestehen, wenn zu besorgen sei, dass der Bevollmächtigte aufgrund der Entfernung die Vollmacht nicht zum Wohl des Betroffenen ausüben könne oder wolle. Anhaltspunkte dafür gab es jedoch nicht im vorliegenden Fall.

Ferner führte der Bundesgerichtshof aus, dass der Bevollmächtigte auch nicht zur täglichen persönlichen Betreuung, sondern lediglich zur rechtlichen Vertretung verpflichtet ist. Einen Bevollmächtigten treffen die gleichen, auf die Besorgung rechtlicher Angelegenheiten beschränkten Pflichten wie einen eingesetzten Betreuer.

Der Bevollmächtigte muss sich demnach um die Bereitstellung der tatsächlichen Hilfen für den Betroffenen kümmern, muss diese Hilfe jedoch nicht selbst persönlich und vor Ort leisten. Eine räumliche Distanz kann daher nicht schaden, wenn der Bevollmächtigte dennoch willens und in der Lage ist, die rechtliche Unterstützung zu leisten.

Bewertung

Die Entscheidung des betroffenen Vollmachtgebers, einen weiter entfernt lebenden Bevollmächtigten als Betreuer bestellen zu wollen, ist zu berücksichtigen, soweit nicht gravierende Gründe für dessen Ungeeignetheit sprechen.

Üblicherweise wird der Betroffene die Person des Bevollmächtigten gezielt aus persönlichen Gründen ausgewählt und dabei die räumliche Entfernung bedacht haben. Dem Bevollmächtigten ist es außerdem etwa möglich, für die tägliche Pflege oder medizinische Beobachtung und Unterstützung etwa ambulante Hilfe oder einen Pflegedienst in Anspruch zu nehmen. Eine solche Vorkehrung regelt die rechtlichen Interessen des Betroffenen gemäß den Pflichten des Bevollmächtigten und berücksichtigt dennoch, dass dieser nicht die tatsächlichen Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen befriedigen muss.

Die Auswahl eines etwa verwandten oder sonst nahestehenden Bevollmächtigten durch den Vollmachtgeber ist außerdem aus dem Grund zu respektieren, dass dieser in der Regel trotz einer möglichen Distanz die zu regelnden Angelegenheiten effektiver erledigen können wird, als es ein gerichtlich eingesetzter Betreuer könnte.

Matthias Gollor
Anwalt für Familienrecht

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