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Familienrecht: Berücksichtigung einer Abfindung beim Zugewinnausgleich

OLG Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2022 – 6 UF 91/21

Hintergrund

Die 58 Jahre alte Antragstellerin war seit dem 18.11.1994 mit einem 60 Jahre alten Mann (Antragsgegner) im gesetzlichen Güterstand verheiratet. Beide waren deutsche Staatsangehörige und hatten keine Kinder. Die Trennung des Paares erfolgte im April 2018. Der Ehemann ist im Juli 2018 endgültig aus der Ehewohnung ausgezogen.

Die Ehefrau ist als Bürokauffrau tätig. Der Ehemann war von Beruf Elektriker. Zuletzt war er als Qualitätsprüfer beschäftigt. Unterhaltsansprüche wurden nach der Trennung wechselseitig nicht erhoben.

Im Juni 2017 unterzeichnete der Ehemann einen Aufhebungsvertrag. Aufgrund dessen wurde das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung i. H. v. 217.399,00 € zum 30.11.2017 beendet. Davon wurden 20.000 € in die betriebliche Altersversorgung des Antragsgegners eingezahlt. Im Januar 2018 erhielt der Ehemann einen Nettobetrag i. H. v. 153.231, 43 €. Um eine Anschlussbeschäftigung bemühte sich der Ehemann nicht mehr. Er bezog im Zeitraum von Dezember 2018 bis Oktober 2020 Arbeitslosengeld i. H. v. monatlich 1.591,50 € und ab November 2020 i. H. v. monatlich 1.618,50 €. Er strebt seine Verrentung ab Dezember 2023 an.

Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag, der dem Ehemann am 23.04.2019 zugestellt wurde, die Scheidung der Ehe begehrt. Im Rahmen eines Stufenantrags hat sie den Ehemann zuletzt auf Zahlung des Zugewinns i. H. v. 84.743, 91 € in Anspruch genommen. Der Ehescheidung hat der Antragsgegner zwar zugestimmt, allerdings hat er in der Folgesache Güterrecht auf Abweisung angetragen.

Die Ehegatten haben um die Behandlung mehrerer Depot-Konten des Ehemannes gestritten, welche aus der Abfindungszahlung des ehemaligen Arbeitgebers des Antragsgegners resultieren.

Der Ehemann verfügte über ein Endvermögen i. H. v. 229.474,80 €. Sein Anfangsvermögen belief sich auf 142.091, 62 €. Die Ehefrau hatte einen Zugewinn i. H. v. 19.702, 41 € erzielt.

Die Ehe wurde geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt.

Das Familiengericht hat den Ehemann in der Folgesache Güterrecht dazu verpflichtet, der Ehefrau einen Zugewinnausgleich i. H. v. 33.840,38 € zu zahlen und den Antrag i. Ü. abgewiesen.

Der Arbeitgeber des Antragsgegners wendet sich hiergegen mit der Erst- und der Antragsgegner mit der Zweitbeschwerde.

Der Arbeitgeber möchte erreichen, dass nur die leistungsorientierten Zusageteile des Ausgleichswertes des Anrechts der angeordneten Verzinsung unterworfen werden, fondsorientierte Zusageteile sollen davon ausgenommen sein.

Der Antragsgegner verfolgt mit seinem erstinstanzlichen Abweisungsantrag hinsichtlich des Zugewinnausgleichs weiter. Er ist der Auffassung, dass die Depot-Guthaben, die sich aus der Abfindung gebildet haben, nicht in den Zugewinnausgleich fallen. Der Abfindungsbetrag habe eine Lohnersatzfunktion. Diese sei vom Antragsgegner zwecks Überbrückung der Zeit bis zu seinem geplanten Renteneintritt zur Aufstockung seines Einkommens einzusetzen. Infolge einer Erwerbsunfähigkeit sei der Antragsgegner zur Aufnahme einer gleichwertig dotierten anderen Tätigkeit nicht in der Lage gewesen. Zudem sei er nicht dazu verpflichtet gewesen.

Seitens der Ehefrau wird um die Zurückweisung der Zweitbeschwerde gebeten. Die angefochtene Entscheidung zum Zugewinnausgleich verteidigt sie unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.

Gründe

Die Erstbeschwerde hat Erfolg. Der Arbeitgeber des Ehemannes beanstandet unwidersprochen und zu Recht, dass das Familiengericht den zu zahlenden Betrag in vollem Umfang als verzinslich angesehen hat.

Der Antragsgegner wird von der angefochtenen Entscheidung in der Folgesache Güterrecht im Ergebnis nicht benachteiligt. Sie hält dem Angriff der Zweitbeschwerde stand.

Der Ehegatte, der einen höheren Zugewinn i. S. d. § 1373 BGB erwirtschaftet hat, schuldet dem Ehegatten, der einen geringeren Zugewinn erwirtschaftet hat, gem. § 1378 Abs. 1 BGB die Hälfte des Überschusses des Zugewinns als Ausgleich. Für die Berechnung des Zugewinns und die Höhe der Ausgleichsforderung tritt die Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags an die Stelle der Beendigung des Güterstandes, vgl. § 1384 BGB.

Das Anfangs- und das Endvermögen umfassen alle rechtlich geschützte Positionen mit wirtschaftlichem Wert, die dem Ehegatten am jeweiligen Stichtag zustehen. Dies bedeutet, dass dem Ehegatten alle Sachen, die ihm gehören, und alle objektiv be- und verwertbaren Rechte, die ihm objektiv zustehen. Nicht erfasst ist das Einkommen (Arbeitsentgelt, Renten und Unterhalt), welches zur Deckung des laufenden künftigen Lebensbedarfs benötigt wird und mit dieser Zweckbestimmung regelmäßig keinen Vermögenswert i. S. d. §§ 1373 ff. BGB darstellt.

Eine arbeitsrechtliche Abfindung, die aufgrund der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, ist i. d. R. eine Einmalzahlung. Sie kann sowohl dem Vermögen zugerechnet werden und mit dem am Stichtag (noch) vorhandenen Zuwachs güterrechtlich auszugleichen sein als auch als vorweggenommenes Arbeitseinkommen als unterhaltsrechtlicher Ersatz für zukünftigen Lohnausfall des Arbeitnehmers zu verwenden sein. Sollte letzterer Fall einschlägig sein, ist eine doppelte Berücksichtigung im Rahmen des Zugewinnausgleichs gesperrt.

Das Verbot der „Doppelverwertung“ ist nicht einschlägig.

Im Rahmen der Abgrenzung muss festgestellt werden, ob und ggf. inwieweit eine Abfindung eine Vermögensposition darstellt und somit Bestandteil des Anfangs- oder Endvermögens i. S. d. §§ 1373 ff. BGB sein kann. Erforderlich ist nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur eine Differenzierung danach, ob die Abfindung Entschädigungscharakter oder Lohnersatzfunktion hat. Der Entschädigungscharakter ist auf den Verlust des Arbeitsplatzes und des damit einhergehenden Besitzstandes gerichtet, während die Lohnersatzfunktion der Überbrückung von Zeiten verminderten Erwerbseinkommens zugutekommt. Im letzteren Falle stellen Abfindungszahlungen Einkommen dar.

Das Familiengericht sprach der Abfindung in erster Linie Entschädigungscharakter zu. Begründet wurde dies damit, dass die Abfindung in Zusammenhang mit einer Personalanpassungsmaßnahme steht. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Abfindung eine Lohnersatzfunktion haben, sind sie dem güterrechtlichen Ausgleich nicht von vornherein entzogen. Der BGH sieht in einer arbeitsrechtlichen Abfindung hingegen vielmehr eine Vermögensposition im Güterrecht. Für die Einordnung hinsichtlich Zugewinnausgleich und Unterhalb wird aber zunehmend danach abgegrenzt, welcher Charakter der Abfindung zukommt – Entschädigungscharakter oder Lohnersatzfunktion. Eine Abfindung sei in erster Linie als unterhaltsrechtliches Einkommen zu qualifizieren. Begründet wird dies damit, dass um Rahmen der Abfindung der Sicherung des Lebensbedarfs ein höherer Rang zuteil würde als der Teilhabe am Vermögen. Die Berücksichtigung der Abfindung im Rahmen des Zugewinnausgleichs ist möglich, wenn der Betrag, der in Form der Abfindung gezahlt wird, unterhaltsrechtlich nicht der Sicherung des Bedarfs des Ehegatten oder eines Unterhaltsberechtigten oder des Abfindungsempfängers selbst benötigt wird.

Die Depotwerte stellen einen Vermögenswert dar, der dem Zugewinnausgleich unterfällt. Dies hat zur Folge, dass im Rahmen des Zugewinnausgleichs, der der Ehefrau gezahlt werden muss, auch die Abfindungszahlung zu berücksichtigen ist. Der Teil der bereits ausgezahlten Nettoabfindung, den der Antragsgegner für den eigenen Unterhalt verbraucht hat, bleibt unberücksichtigt. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass das Depot-Guthaben mit einem Gesamtbetrag i. H. v. 90.000 € durch das Familiengericht in das Aktiv-Endvermögen des Ehemannes zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags einbezogen wurde. Der Antragsgegner muss den streitbefangenen und nicht bereits verbrauchten Teil der Abfindung nicht für unterhaltsrechtliche Zwecke der Ehegatten verwenden.

Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Antragstellerin auch zukünftig keine Unterhaltsansprüche geltend macht und sich ein solcher Unterhaltsanspruch auch dann nicht darstellt, wenn man der Abfindung des Antragsgegners Lohnersatzfunktion beimisst, kann keine andere Beurteilung getroffen werden.

Der Ehemann ist auf den streitbefangenen Teil der Abfindung für die Deckung seines eigenen Unterhalts angewiesen, um die Zeit bis zu seinem Renteneintritt zu überbrücken. Eine Prognose darüber, in welcher Höhe die Abfindung des Antragsgegners von diesem zur Deckung seines Lebensbedarfs benötigt wird, wird unterhaltsrechtlich beurteilt. Eine eigene Bedürftigkeit der Antragstellerin ist nicht ersichtlich.

Der Ehemann ist aufgrund allgemeiner Grundsätze dazu angehalten, in Ansehung von Trennung und Scheidung, den eigenen ehelichen Bedarf zu decken, indem er eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Erwerbsbemühungen hat der Antragsgegner allerdings nicht entfaltet. Er ging davon aus, dass er berechtigt sei, in den Vorruhestand zu gehen und wegen seiner Schwerbehinderung zudem eine Erwerbsunfähigkeit vorliege. Allerdings ist eine prinzipiell bestehende Erwerbsobliegenheit nicht entfallen. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Antragstellerin und der Antragsgegner zur Zeit der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags noch zusammenlebten und die Entscheidung möglicherweise gemeinsam getragen wurde, bedeutet die Trennung eine zeitliche Zäsur, aufgrund derer sich der Antragsgegner nicht mehr auf die zuvor getätigten Ausführungen mehr berufen kann.

Zudem ergibt sich die Erwerbsunfähigkeit des Ehemannes nicht aus dem Verweis auf die anerkannte Schwerbehinderung. Diese bestand zur Trennung bereits seit 10 Jahren, während derer der Antragsgegner durchaus einer Beschäftigung nachgekommen ist. Darüber hinaus wird der Ehemann aufgrund seines Behinderungsgrads nicht von der Pflicht entbunden, seine Erwerbsunfähigkeit substantiiert darzulegen. Er behauptet weder eine konkrete Erkrankung, die dazu führt, dass eine Tätigkeit im erlernten Beruf nicht möglich ist, noch eine zwischenzeitliche Verrentung wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Ehemann kann und muss sich folglich nach Ablauf des Trennungsjahres um eine adäquat bezahlte Anstellung bemühen. Diese Bemühungen wären aus Sicht des Senates mit einer Anstellung belohnt worden, die den eheangemessenen Bedarf deckt.

Die zum Stichtag vorhandenen Depotwerte sind in unstreitiger Höhe in das Aktiv-Endvermögen des Antragsgegners einzubeziehen, auch wenn ein Verbrauch der Abfindung für den eigenen Unterhalt des Antragsgegners nicht zu erwarten ist.

Eine Korrektur des Zugewinnausgleichs aufgrund von Unbilligkeit gem. § 1381 BGB wird nicht als erforderlich angesehen.

Bewertung

Eine Abfindung, die ein Ehegatten anlässlich der Auflösung eines Arbeitsvertrages erhalten hat, kann zusammen mit dem zum Stichtag für das Endvermögen maßgeblichen Betrag eine Vermögensposition darstellen, die im Zugewinn ausgeglichen werden muss, soweit die Abfindung nicht bereits in eine Unterhaltsregelung einbezogen wurde und dementsprechend nicht das Doppelverwertungsverbot greift. Zudem darf der Ausgleichspflichtige aufgrund einer stichtagsbezogenen Prognose nicht auf die Abfindung angewiesen sein – weder zur Deckung seines eigenen Unterhaltsbedarfs noch der Deckung des Unterhalts anderer Unterhaltsberechtigter.

Matthias Gollor
Rechtsanwalt

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