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Medizinrecht: BGH zum Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.11.2019 – VI ZR 84/18

Hintergrund

Gegenstand des Verfahrens war die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Wesentliches Problem in diesem Zusammenhang war die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung 28-jährige Klägerin kam am 17. Oktober 2008 infolge von Kontraktionen und Schmierblutungen in der 34. + 2 Schwangerschaftswoche ins Krankenhaus. Bei der darauf folgenden Geburt wurde ein Dammschnitt vorgenommen. Nachdem nach der Geburt dieser wieder zugenäht worden war, ergab eine Rektaluntersuchung keinen Befund. Die Klägerin wurde am 24. Oktober nach einer weiteren Untersuchung – deren Umfang zum Verfahrenszeitpunkt streitig war – entlassen.

Kurz darauf wurde jedoch eine Dammwunde sowie ein Defekt der Darmwand festgestellt. Es folgte eine operative Behandlung, unter anderem mit der Schaffung eines künstlichen Darmausgangs. Die Klägerin hatte darüber hinaus mit weiteren Komplikationen im Heilungsverlauf zu kämpfen.

Nach all dem verlangte die Klägerin gerichtlich Schadenersatz. Sie machte geltend, dass behandlungsfehlerhaft bei der rektalen Untersuchung nach der Geburt eine bestehende Schließmuskel-und Darmverletzung nicht festgestellt worden sei. Weiterhin sei auch die Entlassungsuntersuchung behandlungsfehlerhaft gewesen, weil die geschilderten Inkontinenzbeschwerden nicht berücksichtigt worden seien.

Die Klägerin hatte jedoch sowohl in erster als auch zweiter Instanz keinen Erfolg. Mittels Nichtzulassungsbeschwerde wandte sich die Klägerin jedoch erfolgreich an den Bundesgerichtshof (BGH).

Gründe

Das Berufungsgericht bezeichnete die fehlende Feststellung der Verletzungen nach der Geburt nicht als behandlungsfehlerhaft sondern als Diagnoseirrtum. Zwar erkannte das Berufungsgericht an, dass bereits nach der Geburt eine Verletzung des Schließmuskels und des Darms vorlag, jedoch sei die Situation im Anschluss an die Geburt grundsätzlich unübersichtlich und insoweit eine Feststellung erschwert, folglich ein Mangel der Feststellung nicht behandlungsfehlerhaft.

Insbesondere in der konkreten Situation habe die Adipositas der Klägerin die medizinische Beurteilung erschwert, es hätten erschwerte Untersuchungsbedingungen bestanden.

Das Berufungsgericht lehnte zudem den Vortrag der Klägerseite bereits mangels Verdachts auf eine Verletzung ab, dass bereits und erst recht unmittelbar nach der Geburt bei Feststellung erschwerter Untersuchungsbedingungen das Hinzuziehen eines erfahrenen Geburtshelfers oder einer Assistenz erforderlich gewesen wäre. Nach Auffassung der Klägerseite hätte mittels Spekula – notfalls infolge einer Sedierung – die Wundverhältnisse beurteilt werden müssen. Zudem hätte dann auch zu späterem Zeitpunkt bei intensiverer Untersuchung die Verletzung festgestellt werden können.

Letzteren Punkt – die Ablehnung des Vortrags der Klägerseite – griff der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss aus dem November vergangenen Jahres an. Die Beurteilung des Berufungsgerichts beurteilten die Karlsruher Richter als Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Nach diesem Anspruch ist das Gericht dazu verpflichtet, „die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen“. Es muss hiernach der wesentliche Kern des Vorbringens der Partei, der eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft, erfasst werden und zudem auch in Gründen beschieden werden (so bereits der BGH, Beschluss vom 29.10.2015, Az.: V ZR 61/15). Diese Pflicht ist verletzt, „wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht“ (so u.a. bereits der BGH, Beschluss vom 27.08.2019, Az.: VI ZR 460/17).

Nach Auffassung des BGH hat die Klägerin hilfsweise zum geltend gemachten Behandlungsfehler einen Befunderhebungsfehler geltend gemacht, indem sie auf erforderliche Untersuchungen in Anbetracht der erschwerten Untersuchungsmethoden abgestellt hat. Hierauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen und hat damit den Anspruch der Klägerin auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs verletzt. Wegen Entscheidungserheblichkeit hat der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Bewertung

Das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Klägerin hilfsweise einen Befunderhebungsfehler geltend gemacht hat. Insoweit ist die Sache neu zu verhandeln und zu entscheiden. Mit dieser Entscheidung stellt der BGH wieder anschaulich das Verfahrensrecht des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Das Gericht muss insoweit vorgetragene entscheidungserhebliche Gesichtspunkte berücksichtigen und darf diese nicht nur dem Wortlaut nach ablehnen. Es muss diese insbesondere auch dem Grunde nach bewerten. Die Entscheidung ist insoweit lesenswert, als sie die Ausformung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Judikatur des BGH darstellt.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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