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Medizinrecht: Hausarzt ist zur Weitergabe von bedrohlichen Befunden losgelöst von Praxisbesuch des Patienten verpflichtet

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.06.2018 – VI ZR 285/17

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist, ob Ansprüche auf Schmerzensgeld, weiteren Schadenersatz, sowie Feststellung und Freistellung von vorgerichtlichen Kosten bestehen.

Der Kläger hatte Schmerzen im linken Bein und Fuß und stellte sich hiermit am 31. Juli 2008 bei der Beklagten vor.Diese überwies ihn zur Streithelferin, die die fachärztliche Behandlung fortsetzte. Wegen der Schmerzen in der linken Kniekehle und im Kniegelenk, links, stellte sich der Kläger am 7. Oktober 2008 im J.-E.-Krankenhaus (Krankenhaus) vor. Eine MRT-Untersuchung vom 14. Oktober 2008 ergab die Feststellung eines etwa 1 cm großen Geschwulstes in der linken Kniekehle. Dieser Befund wurde an die Streithelferin übersandt, die Beklagte erhielt diesen nicht. Am 22. Oktober 2008 stellte sich der Kläger in der neurochirurgischen Ambulanz des H. Klinikums (Klinikum) vor. Der Arztbrief über diesen Aufenthalt vom 24. Oktober 2008 wurde nur an die Streithelferin übersandt.

Diese überwies den Kläger zur stationären Krankenhausbehandlung in das Klinikum. Die Behandlung erfolgte im Zeitraum vom 28. Oktober bis zum 4. November 2008. Dass beim Kläger im Rahmen der MRT-Untersuchung festgestellte Geschwulst wurde am 30. Oktober 2008 mikrochirurgisch resektiert. Den Arztbrief des Klinikums vom 4. November 2008 erhielt die Beklagte und die Streithelferin. Darin wurden beide darüber informiert, dass noch kein Ergebnis der histologischen Untersuchung vorliegt und der Patient hierüber gesondert informiert wird. Zudem bat das Klinikum zur postoperativen Verlaufskontrolle um Wiedervorstellung des Patienten nach Ablauf von ca. sechs Wochen in der NC-Ambulanz des Klinikums.

Ein an ausschließlich die Beklagte und ihre Praxiskollegen gerichteter Arztbrief vom 9. Januar 2009 hatte das Ergebnis des histologischen Befundes zum Inhalt – „Am 30.10.2008 erfolgte die Resektion eines Nervenscheidentumors im Bereich der linken Kniekehle. […] Wir bitten, den Patienten in einem onkologischen Spezialzentrum (z. B. Universitätsklinik Düsseldorf) vorzustellen“.

Der Kläger erhielt dieses Schreiben nicht. Am 17. Mai 2010 stellte sich der Kläger wegen einer Handverletzung bei der Beklagten vor. Hierbei kam das Gespräch auf die Bösartigkeit des im Oktober 2008 im Klinikum entfernten Geschwulstes. Sodann wurde der Kläger im Universitätsklinikum weiterbehandelt. Hierbei stellte sich heraus, dass sich im Bereich der linken Kniekehle ein Rezidiv des Nervenscheidentumors gebildet hatte. Es folgten sodann weitere stationäre Aufenthalte und Operation.

Der Kläger machte gerichtlich geltend, dass die Beklagte „die Bekanntgabe der in dem zweiten Arztbrief enthaltenen Informationen an ihn Behandlung fehlerhaft unterlassen [hat]“. Aus diesen Gründen beanspruchte der Kläger wie oben bereits bezeichnet Schmerzensgeld, weiteren Schadenersatz, sowie Feststellung und Freistellung von vorgerichtlichen Kosten.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten insgesamt abgewiesen.

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht stand. Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und weist die Sache mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Gründe

Der Kläger rügt mit seiner Revision nach Beurteilung des BGH zu Recht, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Beurteilung hinsichtlich der unterlassene Informationen an den Kläger in Gestalt des Inhalts des zweiten Arztbriefes, der den histologischen Befund und das weitere erforderliche Vorgehen zum Gegenstand hatte, „den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt und erheblichen Prozessstoff außer acht gelassen hat“.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates ist ein Behandlungsfehler dann als grob zu bewerten, „wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf […]. Bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt […]. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die ärztlichen Sachverständigen getragen werden und sich auf medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können […]. Revisionsrechtlich ist insoweit nur überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt und ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat“.

Das Berufungsgericht hat nach Auffassung des BGH eine nach diesen Maßstäben fehlerhafte Bewertung vorgenommen.

  1. Das Berufungsgericht hatte für seine Bewertung die Auffassung des Sachverständigen zu Grunde gelegt, dass ein grober Behandlungsfehler ausscheide, wenn ein Fehler unter gegebenen Umständen im alltäglichen Ablauf passieren kann, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Kläger über einen längeren Zeitraum nicht bei der Beklagten vorstellig geworden ist. Hierauf kommt es nach Beurteilung des BGH jedoch gerade nicht an, denn, „[d]ass Fehler vorkommen, sagt nichts darüber aus, ob sie objektiv nicht mehr verständlich sind“. Ebenso komme es nicht auf die Frage an, über welchen Zeitraum ein Patient nicht bei einem Arzt vorstellig geworden ist.
  2. Nach Beurteilung des BGH ist der Auffassung des Berufungsgerichts ebenso nicht zu folgen, dass es sich der Beklagten nicht hätte aufdrängen müssen, dass sie seitens des behandelnden Klinikums, das den zweiten Arztbrief mit den Informationen zum histologischen Befund, und dem weiteren erforderlichen Behandlungsablauf, fehlerhaft als behandelnde Ärztin angesehen worden ist. Denn, so der BGH, ist der Brief ausschließlich an die Beklagte gerichtet worden, woraus sich etwas Gegenteiliges ergibt.

Nach Auffassung des im Berufungsverfahren beurteilenden Sachverständigen ist es untypisch, dass neben einem solchen abgesandten Brief, weitere Informationen an die weiterbehandelnden Ärzte mitgeteilt werden. Diese Äußerungen des Sachverständigen wurden durch das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, wie die Revision nach Auffassung des BGH zu Recht erkennt.

  1. Schließlich habe das Berufungsgericht in seiner Beurteilung des Sachverhalts vollständig außer Acht gelassen, dass es sich bei der Beklagten um eine Hausärztin handelt, bei der der Kläger über mehrere Jahre hinweg in Behandlung gewesen ist. Insbesondere aus einer solchen langzeitigen Betreuung und einer hieraus folgend interdisziplinären Koordination heraus müsse der Hausarzt damit rechnen, dass er im Falle einer Krankenhausbehandlung durch seine Patienten als Ansprechpartner angegeben wird. Hieraus wiederum ergebe sich, dass er als für die Weiterbehandlung verantwortlicher Arzt angesehen wird, ergo die Pflicht zur Weitergabe von an ihn gerichteten Informationen hat. Insbesondere schließe die Information des ersten Arztbriefes, siehe oben, dass der Patient über das Ergebnis der histologischen Untersuchung informiert wird, einen groben Behandlungsfehler nicht aus.

Auf dieser Grundlage kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben kann.

Bewertung

Der BGH folgt mit seinem der bisherigen Rechtsprechung. Er macht wieder deutlich, nach welchen Kriterien ein grober Behandlungsfehler zu beurteilen ist und kommt auf dieser Grundlage zu Recht zu dem Ergebnis, dass das Berufungsgericht fehlerhaft geurteilt hat.

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