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Sozialrecht: Au-Pair-Tätigkeit kann eine Arbeitnehmerstellung begründen

Sozialgericht Landshut, 18.7.2018 – S 11 AS 624/16

Hintergrund

Die Klägerin, eine 1988 geborene Kroatin, lebt seit 2014 in Deutschland. Von Januar bis August 2014 arbeitete sie als „Au-Pair“ bei einer Familie, mit der sie einen entsprechenden Vertrag geschlossen hatte.Darin verpflichtete sie sich dazu, jeden Tag vier bis fünf Stunden im Haushalt der Familie mitzuwirken. Die Gastfamilie stellte ihr dafür ein eigenes Zimmer, tägliche Mahlzeiten sowie finanzielle Leistungen in Form von 260 Euro Taschengeld, 50 Euro für einen Sprachkurs sowie 60 Euro für Kranken- und Unfallversicherung zur Verfügung. Darüber hinaus wurden ihr bezahlter Urlaub, eine Prepaid-Telefonkarte und die freie Benutzung eines Autos einschließlich zweier Tankfüllungen im Monat gewährt. Im Anschluss arbeitete die Klägerin von August 2014 bis März 2015 sowie von Juni bis August 2015 in einem Hotel. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde jedoch durch die Klägerin gekündigt, die sodann im September 2015 Leistungen nach dem SGB II beantragte. Diese Leistungen wurden ihr auch zunächst bewilligt, allerdings nur für den Zeitraum ab dem 24.9.2015 bis 31.8.2016. Danach lehnte die Beklagte eine Bewilligung ab, begründet mit dem fehlenden Arbeitnehmerstatus. Dagegen wehrte sich die Klägerin mit ihrer Klage und begründete diese damit, dass sie ihren Job in dem Hotel einer ärztlichen Empfehlung folgend gekündigt hatte. Daher seien ihr die Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Die Beklagte dagegen stritt den nachwirkenden Arbeitnehmerstatus ab. Insbesondere sei ein „Au-Pair“ kein Arbeitnehmer, da diese Tätigkeit nicht in erster Linie der Erwirtschaftung eines Einkommens dient. Sie sei vielmehr auf die Erweiterung des persönlichen Erfahrungshorizontes gerichtet. Das zuständige Sozialgericht gab der Klage statt.

Gründe

Der Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich aus den §§ 7 ff., 19 ff. SGB II. Ein Ausschluss des Anspruchs hätte sich hier möglicherweise aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ergeben können. Dies hat das Gericht jedoch verneint, da sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Diese Regelung erfordere eine fiktive Prüfung des Grundes des Aufenthaltsrechts, wobei der Maßstab durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) und das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festgelegt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss das „Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche“ positiv festgestellt werden und wird durch einen einzigen anderen Grund widerlegt. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU gewährt Unionsbürgern das Recht zur Freizügigkeit, wenn sie sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung in Deutschland aufhalten. Das Recht bleibt für Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU unberührt bei unfreiwilliger, durch die zuständige Arbeitsagentur bestätigter Arbeitslosigkeit, soweit sie mehr als ein Jahr als Arbeitnehmer beschäftigt waren. Die Klägerin war länger als ein Jahr in Deutschland als Arbeitnehmerin beschäftigt. Das Sozialgericht entschied nun auch, dass sie bereits als Au-Pair Arbeitnehmerin war. Der für die Arbeitnehmerfreizügigkeit maßgebliche Arbeitnehmerbegriff nach § 2 FreizügG/EU ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der weit ausgelegt werden muss. Wesentliches Merkmal sei, dass eine Person für eine andere in einer bestimmten Zeit Leistungen nach Weisung erbringt und als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der genaue Umfang der Leistung oder der Vergütung schließe eine Arbeitnehmereigenschaft nicht aus. Die Vergütung dürfe nicht nur symbolischen Charakter haben, müsse aber auch nicht zur Sicherung des Unterhalts ausreichen. Auch könne bereits eine Wochenstundenanzahl von zehn Stunden genügen. Im Ergebnis war die Klägerin während ihrer Zeit als Au-Pair somit als Arbeitnehmerin im unionsrechtlichen Sinne anzusehen. Insgesamt greift der Ausschlussgrund also nicht ein. Der Anspruch der Klägerin besteht.

Bewertung

Das Gericht hatte im Kern darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeit als „Au-Pair“ eine Arbeitnehmereigenschaft begründet. Richtigerweise war dabei auf den unionsrechtlichen Begriff im Sinne von Art. 45 AEUV abzustellen, der weit auszulegen ist. Es wurde festgestellt, dass die Vergütung nicht der Sicherung des Lebensunterhalts dienen muss oder dafür ausreichen muss, auch wenn dies im konkreten Fall der Klägerin durchaus der Fall war. Das Urteil veranschaulicht außerdem, dass für die Bewilligungsentscheidung eine gründliche fiktive Prüfung vorzunehmen ist, in die das Unionsrecht mit seinen Besonderheiten mit einzubeziehen ist.

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