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Versicherungsrecht: Versicherungsschutz auch bei durch Hypoglykämie verursachtem Abweg gegeben?

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.4.2024 – L 14 U 164/21

Hintergrund

Der Kläger des vorliegenden Falles ist auf dem Heimweg von seiner Arbeit in einen verheerenden Autounfall geraten, weil er seinen Wagen auf die Fahrbahn der entgegenkommenden Fahrzeuge steuerte. Dies resultierte in einer Frontalkollision mit einem LKW, der Kläger erlitt schwerwiegende Verletzungen. Die herbeigerufenen Rettungskräfte konnten bei der Untersuchung des Klägers eine Unterzuckerung des Blutes feststellen.

Weil der sich eigentlich auf seinem Heimweg befindliche Kläger 4 Kilometer entgegengesetzt von Arbeitsstelle und Wohnort in den Unfall verwickelt wurde, erkannte die Berufsgenossenschaft keinen Wegeunfall und somit keinen Arbeitsunfall. Vielmehr sei der Kläger auf einen Abweg geraten, der nicht versichert sei.

Der Kläger hatte diesen Abweg mit seiner Diabeteserkrankung begründet. Zur Zeit des Unfalls sei er wegen starker Unterzuckerung ohne Orientierung gewesen. Deshalb habe er nicht erkannt, dass er an seinem Wohnort bereits vorbeigefahren und somit auf einen Abweg geraten war. An weitere Details der Vorgänge könne er sich nicht erinnern.

Die erste Instanz hatte noch zugunsten des Klägers entschieden, die zweite jedoch nicht. Das Landessozialgericht sah die Berufsgenossenschaft im Recht.

Weil das LSG eine Revision wegen grundlegender Bedeutung der Entscheidung zuließ, gilt es abzuwarten, ob die Entscheidung des LSG Bestand haben wird.

Gründe

Wenn den Versicherten ein Wegeunfall auf der direkten Strecke zwischen Heimadresse und Arbeitsstelle ereilt, dann ist dies von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt. Im Falle eines Abweges wird jedoch grundsätzlich davon ausgegangen, dass sich der Geschädigte nicht mehr auf einen Versicherungsschutz verlassen kann. Bekannte Ausnahme dazu ist der Fall, in dem der auf Irrtum beruhende Abweg durch einen äußeren Umstand begründet ist. Also den spezifischen Eigenschaften der Verkehrssituation auf dem Arbeitsweg. So fallen zum Beispiel eine besondere Dunkelheit, Nebel und mangelhafte Beschilderung darunter.

Weil der Grund dafür, dass der Kläger auf seinem Heimweg in einen Abweg geriet, eine sogenannte innere Ursache war, sah sich das LSG gezwungen, das Vorliegen eines versicherten Unfalls zu verneinen. Grund für den Abweg sei eine Orientierungslosigkeit des Unfallsopfers gewesen. Diese sei begründet worden durch Bewusstseinsstörung als Folge einer Unterzuckerung, die den Kläger aufgrund seiner Diabeteserkrankung ereilt habe.

Die Richter führen an, dass die Einbeziehung dieses Falls in die oben genannte, weitgehend bekannte Ausnahme zu einer Ausuferung der Versicherungspflicht führen würde. Der eigentliche Auftrag der Wegeunfallversicherung würde somit ausgehöhlt.

Bewertung

Ein nicht versicherter Abweg liegt vor, wenn der Versicherte sich nicht auf direktem Wege zwischen Arbeitsstelle und Wohnsitz befindet. Sollte er diesen verlassen, sind jegliche Schadensereignisse erst dann wieder von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst, wenn er sich wieder auf dem direkten Arbeits- bzw. Heimweg befindet.

Es existiert ein Fall, in dem ausnahmsweise von den Gerichten ein durch innere Ursache begründeter Abweg als versicherter Wegeunfall gewertet wird. Der Geschädigte muss auf dem Hinweg zur Arbeitsstelle aufgrund gesundheitlicher Umstände dazu gezwungen gewesen sein, nach Hause umzukehren. Der Beweis des Vorliegens eines solchen zwingenden gesundheitlichen Grundes ist schwer, charakteristisch für die Tatsachenfindung auf dem Gebiet der inneren Ursachen. Es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dargelegt werden, dass ein zwingender gesundheitlicher Umstand vorlag. Wenn dies nicht geleistet werden kann, wird auch hier von einem nicht versicherten Abweg ausgegangen.

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für diese Ausnahme nicht gegeben. Gegen weitere Ausnahmen mit Blick auf innere Ursachen für einen Abweg spricht zunächst -wie oben dargestellt- die komplizierte Beweisbarkeit dieser. Schwer und undurchsichtig würde zudem die Einteilung innerer Ursachen in solche, die man zu berücksichtigen wünscht und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Wollen die Gerichte stringent urteilen, müssen sie ähnlich liegende Fälle gleich bewerten. Es droht dann ein ausufernder Umfang der Versicherungspflichten der gesetzlichen Unfallversicherung.

Eigentliche Aufgabe der Versicherung ist es, Berufsunfälle zu versichern. Die grundlegende Frage für die Gerichte ist also: „Haben wir es hier mit einem Arbeitsunfall zu tun?“. Folgerichtig sollte sich nicht weit vom klassischen Verständnis eines Arbeitsunfalls entfernt werden. Ein versicherter Wegeunfall liegt vor, wenn sich der Geschädigte auf dem Arbeitsweg befindet, nur so ist es auch ein Arbeitsunfall.

Konstantin Theodoridis

Rechtsanwalt

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