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Medizinrecht: Amtshaftung bei Fehlern von Notfallrettungsleitstellen

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.05.2025 – III ZR 417/23, Pressemitteilung Nr. 97/2025 vom 15.05.2025

Hintergrund

Der vorliegende Fall befasst sich mit dem Vorwurf der fehlerhaften Handhabung eines Notrufs seitens einer Rettungsleitstelle. Geklagt hatten die Eltern und Erben eines am 14.01.2017 geborenen und am 12.02.2018 verstorbenen Kindes. Beklagte sind verschiedene Landkreise und kreisfreie Städte, die aufgrund von Amtspflichtverletzungen auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

Die beklagten Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg betreiben gemeinsam eine Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe. Die beklagte Hansestadt Lübeck hat eine eigene Rettungsleitstelle, die beklagten Kreise Nordwestmecklenburg und die Stadt Schwerin betreiben eine gemeinsame Leitstelle in Schwerin. Zwischen Lübeck und Nordwestmecklenburg bestand eine Vereinbarung, aufgrund derer die Leitstelle Lübeck für bestimmte Ortschaften, die dem Zuständigkeitsbereich der Leitstelle Nordwestmecklenburg unterfallen, Hilfe leisten sollte. Im Falle, dass bei der Stelle Nordwestmecklenburg nicht genügend Rettungsfahrzeuge verfügbar waren, sollten die dort eingehenden Notfallmeldungen unmittelbar an die Leitstelle Lübeck weitergeleitet und von dieser bei bestehender Kapazität übernommen werden.

Zu den genannten Ortschaften zählte auch der Wohnort der Kläger. Im Januar 2017 traten bei der klagenden Mutter des Kindes Schmerzen auf, woraufhin um 22:41 Uhr der Rettungsdienst nach Rücksprache mit der Hebamme verständigt wurde. Im Laufe des Gesprächs mit der Leitstelle Bad Oldesloe teilte der ebenfalls klagende Vater der Leitstelle mit, dass die Klägerin unter starken Schmerzen leide, woraufhin der Notruf sechs Minuten später an die Leitstelle Schwerin weitergeleitet wurde. Auch dort wurde der Notruf weitergeleitet an die Leitstelle Lübeck, wobei die Einschätzung der Hebamme, dass die Klägerin sofort in ein Krankenhaus müsste, nicht weiterübermittelt wurde.

Ein Rettungsfahrzeug der Leitstelle Lübeck erreichte die Kläger um 23:17 Uhr, wobei die Anfahrt erschwert wurde durch bestehendes Glatteis. Die Klägerin erlitt einen Zusammenbruch, woraufhin ein Notarzt angefordert wurde, der um 23:30 Uhr bei den Klägern eintraf und anordnete, dass die Klägerin in das Universitätsklinikum Lübeck gebracht werden sollte. Kurz nach Mitternacht wurde das Kind im Rahmen eines Notkaiserschnitts geboren, eine vorzeitige Plazentaablösung wurde als Auslöser der Komplikationen im Rahmen der Entbindung festgestellt. Bei dem Kind war es zu einer erheblichen Sauerstoffunterversorgung gekommen, an dessen Folgen das Kind am 12.02.2018 verstarb.

Das Landgericht Lübeck wies die Klage ab, auch die Berufung der Kläger vor dem Oberlandesgericht Schleswig hatte keinen Erfolg. Dagegen legten die Kläger Revision zum Bundesgerichtshof ein.

Gründe

Die Revision hatte Erfolg und wurde insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Oberlandesgericht Schleswig verwiesen. Grundsätzlich schloss sich der Bundesgerichtshof der Ansicht des Berufungsgerichts dahingehend an, dass die Beurteilung der Frage, ob eine Rettungsleitstelle sofort einen Notarzt zu entsenden hat, maßgeblich aufgrund einer Handreichung des Vorstands der Bundesärztekammer für Disponenten in Rettungsleitstellen zu erfolgen hat.

Das Oberlandesgericht Schleswig nahm jedoch in verfahrensfehlerhafter Weise an, dass im vorliegenden Fall aufgrund des von dem Kläger beschriebenen Zustandes der Mutter des Kindes keine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestand, da das Gericht hinsichtlich dieser Fragestellung kein Sachverständigengutachten eingeholt hatte. Auch die Frage, ob bereits im Rahmen des Telefonats mit der Leitstelle Schwerin hätte festgestellt werden müssen, dass ein Notarzt herbeizuziehen sei, hätte gutachterlich geklärt werden müssen.

Bewertung

Der für Amtshaftungsverfahren zuständige Senat des Bundesgerichtshofs stellte vorliegend fest, dass das Oberlandesgericht Schleswig fehlerhafterweise kein Sachverständigengutachten einholte zur Beurteilung der Frage, ob sofort am Telefon und nicht erst durch das Einsatzteam vor Ort ein Notarzt zu der Klägerin hätte entsendet werden müssen. Dies ist nun nachzuholen, um festzustellen, ob eine Amtspflichtverletzung seitens der disponierenden Leitstellen vorliegt. Ist dies zu bejahen, so muss die Amtspflichtverletzung obendrein schuldhaft begangen worden und ursächlich für den erlittenen Gesundheitsschaden des Kindes geworden sein.

Eine Amtspflichtverletzung bei der Disposition von Rettungsleitstellen kann insbesondere bestehen, wenn besondere Berufs- und Organisationspflichten zum Schutz von Leben und Gesundheit verletzt wurden. Dabei wird zu Gunsten der Geschädigten die Beweislast umgekehrt, wenn eine grobe Vernachlässigung von Amtspflichten bezüglich eines Rettungsdiensteinsatzes gegeben ist. Somit muss die beklagte Partei – also in diesem Fall die haftende Körperschaft – darlegen, dass die Pflichtverletzung nicht ursächlich für einen solchen Schaden, der allgemein und üblicherweise durch solche Fehler eintreten kann, geworden ist.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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