
Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.11.2024 – VI ZR 12/24
Hintergrund
Die Parteien des vorliegenden Falls waren im Oktober 2016 in einen Verkehrsunfall verwickelt, der dadurch verursacht wurde, dass die Fahrerin eines bei der beklagten Versicherung haftpflichtversicherten PKWs aus Unachtsamkeit auf ein hinter dem Wagen der Klägerin fahrendes Kraftfahrtzeug auffuhr, wodurch dieses auf das Heck des Autos der Klägerin geschoben wurde. Es ist unstrittig, dass die Beklagte in vollem Umfang für den Schaden aufzukommen hat.
Der Ersatz des Sachschadens wurde bereits außergerichtlich geregelt, die Klägerin verlangt nun jedoch den Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden, so unter anderem den Ersatz eines fiktiven Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum ab dem Unfall bis zum 07.11.2016. Der Zeitraum beträgt zwei Wochen und umfasst 141,75 Stunden, wobei die Klägerin einen Stundensatz von 14 € veranschlagte.
Das erstinstanzlich befasste Amtsgericht Augsburg gab der Klage teilweise statt und bejahte einen Anspruch in Höhe von 93,75 Stunden zu einem Stundensatz von 12 € und somit insgesamt 1.125 €. Dagegen legte die Beklagte Berufung zum Landgericht Augsburg ein, welches das Urteil des Amtsgerichts Augsburg teilweise abänderte und eine Stundenanzahl von 109,93 Stunden zu einem Stundensatz von 8 € ansetzte. Somit bestünde ein Anspruch in Höhe von 879,44 €.
Das Landgericht Augsburg hatte zur Begründung der Berechnung einen Stundensatz von 8 € angenommen, da es sich gerade um einen fiktiven Schaden handeln würde. Zu diesem Stundenlohn hätte die Klägerin zwar legal keine Haushaltshilfe einstellen können, jedoch sei dieser preisliche Unterschied zu berücksichtigen, da ja gerade auch keine Haushaltshilfe eingestellt worden sei. Bei einer fiktiven Berechnung seien diese Unwägbarkeiten einzupreisen, da kaum gerichtlich überprüfbar sei, in welchem Umfang dem Geschädigten eine Inanspruchnahme der Hilfe Dritter möglich und zumutbar gewesen wäre. Daher sei nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn abzustellen.
Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision der Klägerin beim Bundesgerichtshof.
Gründe
Die Revision hatte Erfolg, da der Bundesgerichtshof diesen Erwägungen des Landgerichts Augsburg widersprach. Ein Stundenlohn von 8 € netto durfte nicht auf diese Art und Weise angesetzt werden, da das Landgericht weder Ausführungen tätigte zu der Höhe des als Bezugsgröße herangezogenen Bruttostundenlohns, noch zu den Abzügen, die von dem Bruttolohn zur Berechnung des Nettolohns veranschlagt wurden.
Obendrein begegnete der Bundesgerichtshof Bedenken hinsichtlich der Auffassung des Landgerichts Augsburg, den gesetzlich vorgesehenen Mindestlohn bei der fiktiven Bemessung des Haushaltsführungsschadens nicht zu berücksichtigen. Für die Berechnung eines fiktiven Schadens ist grundsätzlich der Nettolohn anzusetzen, bei den Vorschriften zum Mindestlohn handelt es sich jedoch um einen Bruttostundenlohn. Nichtsdestotrotz stellt der zu dem Zeitraum geltende Mindestlohn jedoch die Untergrenze des Bruttolohns dar, auf dessen Grundlage dann der Nettolohn geschätzt werden kann.
Die Schätzung erfolgt durch den Tatrichter, der jedoch im Rahmen seiner Schätzung eine nachvollziehbare Begründung dafür nennen muss, auf welcher Grundlage die Schätzung erfolgt. Obwohl der gesetzliche Mindestlohn dabei nicht außer Acht gelassen werden darf, muss der Tatrichter weiterhin darlegen, inwiefern der gesetzliche Mindestlohn als die Vergütung angesehen werden kann, die der Geschädigte im konkreten Einzelfall einer fiktiven Hilfskraft zu zahlen hätte.
Bewertung
Im Falle eines Unfalls ist der entstandene Schaden durch den Schädiger – oder eben dessen Versicherung – zu ersetzen. Dieser Schaden umfasst ggf. auch einen Haushaltsführungsschaden, der darin besteht, dass der Geschädigte aufgrund des Unfalls nicht mehr in der Lage ist, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Geschädigte zur Erledigung des Haushalts eine Hilfskraft eingesetzt hat, der Anspruch kann daher auch fiktiv berechnet werden.
Der gesetzliche Mindestlohn kann bei der Berechnung des Schadens nicht außen vorgelassen werden, wie der Bundesgerichtshof in diesem Urteil feststellte. Der konkrete Schaden wird dabei mittels einer Schätzung durch den Richter ermittelt. Dabei ist zu berücksichtigen und insbesondere nachvollziehbar zu begründen, welcher Lohn im Falle der tatsächlichen Beauftragung einer Hilfskraft seitens des Geschädigten zu zahlen gewesen wäre. Die Ausführungen des Landgerichts Augsburg waren diesbezüglich jedoch nicht ausreichend, weshalb das Verfahren insofern dorthin zurückverwiesen wurde.
Frank Sattler
Anwalt für Haftungsrecht
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