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Arbeitsrecht: Kündigung aufgrund einer Krankmeldung als Maßregelung unzulässig?

Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 28.03.2025 – 10 SLa 916/24

Hintergrund

Die Parteien streiten vorliegend über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung während der vereinbarten Probezeit. Der Kläger, der im Jahr 1964 geboren wurde, war seit dem 01.08.2023 bei der Beklagten als Fahrer zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.957 € beschäftigt.

Im Arbeitsvertrag war eine Kündigungsmöglichkeit innerhalb der Probezeit mit einer zweiwöchigen Frist vorgesehen. Der Kläger wurde über eine spanische Vermittlungsfirma zusammen mit drei weiteren Fahrern eingestellt. Am 16.01.2024 war der Kläger nicht vertragsgemäß als Fahrer, sondern als Lader auf einem Entsorgungsfahrzeug eingesetzt, wobei er entgegen der üblichen Praxis ohne einen weiteren Lader arbeitete. An diesem Tag rutschte er auf Eisglätte aus und zog sich u. a. eine Prellung der Lendenwirbelsäule zu. Die Berufsgenossenschaft bestätigte, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelte. Der Kläger reichte am 24.01.2024 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 31.01.2024 ein.

Mit Schreiben vom 26.01.2024, zugegangen am 28.01.2024, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis während der Probezeit ordentlich. Zeitgleich wurden zwei weitere, ebenfalls vermittelte Arbeitnehmer gekündigt. Am 15.02.2024 erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

Das Arbeitsgericht Frankfurt gab der Klage teilweise statt und stellte dabei fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 11.02.2024 endete, da die Kündigungsfrist von zwei Wochen ab Zugang am 28.01.2024 zu beachten sei. Im Übrigen wies das Gericht die Klage ab und führte als Begründung aus, dass das KSchG gemäß § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung finden würde, da die Wartezeit, die erforderlich wäre für eine Anwendbarkeit des KSchG, nicht erfüllt sei.

Obendrein liege kein Verstoß gegen § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor, denn die Kündigung des Klägers sei nicht wegen einer Geltendmachung seiner Rechte erfolgt, sondern betraf auch andere Arbeitnehmer. Es sei außerdem keine grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls erkennbar, da sich die Gefahrenlage aus nicht beeinflussbaren Wetterverhältnissen ergeben habe.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und machte geltend, dass es sich bei der Kündigung um eine Maßregelung gemäß § 612a BGB handeln würde, da er erst kurz zuvor seine Arbeitsunfähigkeit geltend gemacht habe. Obendrein sei er vertragswidrig als Verlader eingesetzt worden, ohne dass ein zweiter Lader zur Verfügung gestellt worden sei; dies habe das Unfallrisiko signifikant erhöht. Die Beklagte bestritt hingegen einen Zusammenhang zwischen dem Unfall bzw. der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Kündigungsentscheidung. Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Hessen blieb ohne Erfolg.

Gründe

Nach § 612a BGB ist es dem Arbeitgeber untersagt, einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme oder Vereinbarung zu benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis ausübt. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot kann etwa dann gegeben sein, wenn eine Kündigung im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgesprochen wird. Denn mit der Vorlage einer solchen Bescheinigung macht der Arbeitnehmer das ihm zustehende Recht geltend, von der Arbeitsleistung vorübergehend befreit zu sein.

Im vorliegenden Fall deutete jedoch die Gesamtschau der Umstände darauf hin, dass die Kündigung nicht wegen der Erkrankung und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit, sondern aus anderen, sachfremden Erwägungen ausgesprochen wurde. Die Beklagte hat nachvollziehbar vorgetragen, dass sich nach der Beschäftigungsaufnahme herausgestellt habe, dass die von einer spanischen Vermittlungsagentur entsandten Arbeitnehmer – einschließlich des Klägers – nicht über hinreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügten und es an der erforderlichen beruflichen Erfahrung als Fahrer mangelte.

Infolgedessen sei es wiederholt zu Unfällen im Betriebsablauf gekommen. Zwar hat der Kläger eine Beteiligung an solchen Vorfällen bestritten, entscheidend bleibt jedoch, dass die Beklagte sich innerhalb desselben Zeitraums von insgesamt drei der vier über die Agentur eingestellten Arbeitnehmer getrennt hat. Der Vortrag der Beklagten lässt insoweit eine konsistente und nicht willkürliche Kündigungspraxis erkennen.

Bewertung

Die Vorschrift des § 612a BGB schützt insbesondere vor reaktiven Benachteiligungen des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber infolge einer rechtmäßigen Rechtsausübung auf Seiten des Arbeitnehmers. Vorliegend lehnte das Landesarbeitsgericht einen derartigen Zusammenhang zwischen der Einreichung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Kündigung ab. Die nur zwei Tage vor dem Zugang der Kündigung erfolgte Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet zwar eine zeitliche Nähe, stellt jedoch für sich genommen keinen ausreichenden Beleg für eine Maßregelung i. S. d. § 612a BGB dar.

Die Kündigung erscheint vielmehr als Teil einer sachlich begründeten Personalentscheidung im Rahmen der Probezeit. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit der Kündigung primär bezweckte, sich der Entgeltfortzahlungspflicht zu entziehen, wurden weder vorgetragen und waren auch sonst nicht ersichtlich. Der Kläger wurde also nicht gezielt wegen seines Arbeitsunfalls oder seiner Krankmeldung benachteiligt. Dies spricht eher gegen eine selektive Maßregelung des Klägers aufgrund seiner Erkrankung, sondern vielmehr für eine generalisierte unternehmerische Entscheidung, die sich auf die unzureichende Eignung der gesamten vermittelten Arbeitnehmergruppe stützte. Die Entscheidung der Beklagten bewegt sich damit im Rahmen des ihr zustehenden unternehmerischen Ermessens.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

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