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Mietrecht: Keine Eigenbedarfskündigung des Vermieters bei gesundheitlicher Härte für den Mieter

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2025 – VIII ZR 270/22

Hintergrund

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen seit Dezember 2006 in einer Wohnung der Klägerin wohnenden Mieter. Ebenfalls beklagt ist dessen Untermieterin. Die Klägerin erklärte am 30.04.2020 die Kündigung des Mietverhältnisses aufgrund von Eigenbedarf zum Ende des Januars 2021.

Dieser Kündigung widersprach der beklagte Hauptmieter unter Vorlage einer „Stellungnahme über Psychotherapie“ seines sich selbst als Psychoanalytiker bezeichnenden Behandlers. Dieser legte dar, dass er den Beklagten seit Oktober 2020 regelmäßig im Rahmen von psychotherapeutischen Sitzungen begleiten würde und dieser derzeit an einer akuten Depression und emotionalen Instabilität verbunden mit Existenzängsten leiden würde. Ein Umzug hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Verschlechterung dieser psychischen Krankheitssituation zur Folge, so der Behandelnde.

Der Vermieter klagte auf Räumung und Herausgabe der Wohnung vor dem Amtsgericht Neukölln, welches der Klage stattgab. Zur Begründung nannte das Amtsgericht einen bestehenden Eigenbedarf der Klägerin und lehnte einen Anspruch des Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab. Dieser sieht vor, dass der Mieter einer Kündigung des Vermieters widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder andere Angehörige seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn dem Vermieter das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung im konkreten Fall zusteht.

Nach Ansicht des Amtsgerichts Neukölln sei nicht ersichtlich, in welchem Umfang und mit welchen Folgen eine unterstellt tatsächlich bestehende Depression sich durch den Umzug verschlechtern würde. Gegen diese Entscheidung legte der Beklagte Berufung vor dem Landgericht Berlin ein, welches ebenfalls ausführte, dass eine drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahr nicht hinreichend konkret dargelegt worden sei. Ein entsprechendes ausführliches fachärztliches Attest habe der Mieter nicht vorgelegt. Die Ausführungen des „Psychoanalytikers“ seien insofern nicht ausreichend. Daraufhin legte der Beklagte eine „Stellungnahme über Psychotherapie“ des Behandlers vor, in welchem drohende Suizidgedanken des Beklagten beschrieben wurden, deren Ernsthaftigkeit sich im Falle eines Verlustes der Wohnung vertiefen könnte.

Die gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Revision vor dem Bundesgerichtshof hatte Erfolg.

Gründe

Der Bundesgerichtshof führte aus, dass zum Nachweis einer gesundheitlichen Härte auch ein nicht fachärztliches Attest genügen könne. Das Landgericht Berlin hätte die beiden Stellungnahmen des Behandlers des Beklagten als Sachvortrag hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf das Beschwerdebild des beklagten Hauptmieters berücksichtigen müssen. Es muss gerade kein fachärztliches Attest vorliegen, um den Anforderungen eines substantiierten Sachvortrags nachzukommen.

Zwar muss der Mieter als medizinischer Laie grundsätzlich, ein medizinisches fachärztliches Attest vorlegen, um seinen Gesundheitsstatus nachzuweisen, jedoch lässt sich aus dieser Rechtsprechung nicht schlussfolgern, dass dieses immer in jedem Fall erforderlich ist. Zur Erfüllung der Substantiierungspflicht des Mieters kann also auch der Sachvortrag eines medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, der nicht zwingenderweise ein Facharzt sein muss.

Somit hätte das Landgericht die Ausführungen des „Psychoanalytikers“ des beklagten Hauptmieters bei der Entscheidung der Frage, ob eine gesundheitliche Härte gegeben ist, berücksichtigen müssen. Insofern wurde das Verfahren zurück an das Landgericht Berlin verwiesen.

Bewertung

Die Kündigung eines Vermieters kann einen Mieter im Einzelfall sehr stark belasten und insofern eine erhebliche Härte darstellen, die gegebenenfalls dazu führen kann, dass das Mietverhältnis fortzuführen ist. Eine solche Härte kann etwa gesundheitlicher Art sein, wenn der Mieter im Falle einer Kündigung unter schweren – wie im vorliegenden Fall – psychischen Auswirkungen zu leiden hätte. Diese Auswirkungen müssen jedoch substantiiert nachgewiesen und dargelegt werden.

Grundsätzlich ist dazu ein fachärztliches Attest, welches ausreichenden Sachvortrag zu den gesundheitlichen Gegebenheiten und den darauf bezogenen Auswirkungen eines Umzugs trifft, erforderlich. Dass jedoch auch ein nicht fachärztlicher Nachweis genügen kann, zeigt das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs. Die fachliche Qualifikation ist zwar insbesondere im Falle eines fachärztlichen Attestes gewährleistet, im Einzelfall kann jedoch auch ein anderweitig medizinisch qualifizierter Behandelnder derartige Nachweise erbringen. Das Landgericht Berlin hatte sich vorliegend nicht mit den „Stellungnahmen zur Psychotherapie“ auseinandergesetzt oder Feststellungen dahingehend getroffen, aus welchen Gründen es den Behandler des Hauptmieters als medizinisch nicht qualifiziert ansah.

Hagen Albus
Fachanwalt für Mietrecht

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