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Arbeitsrecht: Vereinfachtes Verfahren bei einer Betriebsratswahl

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.11.2024, 7 ABR 32/23

Hintergrund

Zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens ist die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl vom 16.05.2022 in einem Gemeinschaftsbetrieb zweier Arbeitgeberinnen strittig.

In dem Gemeinschaftsbetrieb mit ca. 77 Arbeitnehmern wurde ein Betriebsrat nach einem vereinfachten Wahlverfahren gewählt. Der Wahlvorstand, eingesetzt durch den vormaligen Betriebsrat, erließ am 24.03.2022 ein Wahlausschreiben. Die Frist zur Einlegung von Einsprüchen gegen die Wählerliste endete am 25.04.2022, Wahlvorschläge waren bis zum 06.05.2022 einzureichen. Die Wahl fand am 16.05.2022, die öffentliche Stimmauszählung am 20.05.2022 statt.

Es gab keine beim Wahlvorstand eingereichten Einsprüche gegen die Wählerliste. Am 6.05.2022 sammelte der frühere Betriebsratsvorsitzende, zugleich Mitglied des Wahlvorstands und Wahlbewerber, ab 10:00 Uhr 16 Stützunterschriften für eine Liste mit acht Bewerbern. Der Wahlvorschlag wurde noch am selben Tag zwischen 14:30 Uhr und 15:00 Uhr bekannt gemacht. Ein Geschäftsführer der Arbeitgeberinnen entfernte den Aushang gegen 16:50 Uhr vorübergehend. Die Wahl verlief ordnungsgemäß, eine Stimme ging per Briefwahl ein.

Die Arbeitgeberinnen fochten die Wahl mit Antrag vom 13.06.2022 gemäß § 19 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) an. Dabei rügten sie fehlerhafte Angaben im Wahlausschreiben, die Verletzung der Neutralitätspflicht durch ein Mitglied des Wahlvorstands bei der Sammlung der Stützunterschriften, die vorzeitige Bekanntmachung des Wahlvorschlags vor Ablauf der Einreichungsfrist, was potenzielle weitere Vorschläge vereitelt haben könnte, sowie eine mangelnde Anzahl von Stützunterschriften pro Bewerber trotz Listenwahl.

Der Betriebsrat entgegnete, dass die Anforderungen hinsichtlich der Stützunterschriften eingehalten worden seien, die Tätigkeit des früheren Vorsitzenden als Wahlbewerber erfolgt und eine frühzeitige Bekanntmachung nicht wahlbeeinflussend gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Halle gab der Wahlanfechtung statt, die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrates wurde von dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zurückgewiesen, woraufhin der Betriebsrat Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht einlegte.

Gründe

Die vor Ablauf der gesetzlichen Einreichungsfrist erfolgte Bekanntmachung des vom Wahlvorstand als gültig anerkannten Wahlvorschlags am Nachmittag des 06.05.2022 stellt keinen Anfechtungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG dar. § 36 Abs. 5 Satz 3 der Wahlordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WO) i. V. m. § 14a Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG regelt insoweit eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren lediglich dahingehend, dass der Wahlvorstand nach Ablauf der gesetzlich normierten Frist zur Bekanntmachung der gültigen Wahlvorschläge verpflichtet ist. Eine verbindliche Anordnung, wonach eine frühere Bekanntgabe unzulässig wäre, lässt sich dieser Norm hingegen nicht entnehmen.

Bereits der Wortlaut spricht gegen eine solche Auslegung: Die in § 36 Abs. 5 Satz 3 WO verwendete Formulierung „hat […] bekannt zu machen“ begründet eine Bekanntmachungspflicht ab Ablauf der Frist, enthält aber kein Verbot einer früheren Veröffentlichung. Eine teleologische Auslegung ergibt ebenfalls keine gegenteilige Wertung. Die Wahlordnung unterscheidet systematisch zwischen dem Regel- und dem vereinfachten Wahlverfahren. Während § 10 Abs. 2 WO für das Regelwahlverfahren einen konkreten Zeitpunkt („spätestens eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe“) vorsieht, fehlt eine vergleichbare Einschränkung in § 36 Abs. 5 Satz 3 WO. Dies indiziert, dass der Verordnungsgeber im vereinfachten Verfahren bewusst auf eine solche zeitliche Schranke verzichtet hat. Eine restriktivere Auslegung zu Lasten des Wahlvorstands im vereinfachten Verfahren ist damit weder systematisch noch teleologisch begründbar.

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt, § 36 Abs. 5 Satz 3 WO enthalte ein konkludentes Bekanntmachungsverbot vor Ablauf der Einreichungsfrist, verkennt daher den Regelungsgehalt der Vorschrift.

Allerdings hat das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt einen möglichen Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren im Zusammenhang mit der nachträglichen schriftlichen Stimmabgabe nicht berücksichtigt. Ob dieser Verstoß geeignet war, das Wahlergebnis im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG zu beeinflussen, konnte vom Bundesarbeitsgericht mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Die Sache war daher zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt zurückzuverweisen.

Bewertung

Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit bei der Durchführung vereinfachter Betriebsratswahlen und konkretisiert die Auslegung von § 36 Abs. 5 Satz 3 WO i. V. m. § 14a BetrVG. Insbesondere wird unterstrichen, unter welchen Voraussetzungen eine nachträgliche schriftliche Stimmabgabe möglich ist. § 36 Abs. 5 Satz 3 WO stellt fest, dass der Wahlvorstand die als gültig anerkannten Wahlvorschläge nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist zur Einreichung der Wahlvorschläge und bis zum Abschluss der Stimmabgabe bekannt zu machen hat.

Es ist bedeutsam, dass der Bekanntmachungszeitpunkt von Wahlvorschlägen vor Ablauf der Einreichungsfrist nicht per se zur Anfechtbarkeit der Wahl führt. Dies schränkt die Reichweite möglicher Anfechtungsgründe ein und verhindert eine Überdehnung formaler Anforderungen, die keinen Einfluss auf den Wahlvorgang oder die Chancengleichheit haben. Daher bleibt auch im vereinfachten Wahlverfahren eine frühzeitige Bekanntgabe von Wahlvorschlägen zulässig.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

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