
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.04.2025, 10 AZR 80/24, Pressemitteilung Nr. 17/25 vom 16.04.2025
Hintergrund
Die Klägerin des vorliegenden Falles war seit dem 01.06.2019 bei der Beklagten, einem Unternehmen, das unter anderem im Bereich der Kryptowährungen tätig ist, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses angestellt. Dieses begann mit einer vereinbarten monatlichen Bruttovergütung von 960 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Mit Wirkung zum 01.04.2020 war die Klägerin sodann in Vollzeit gegen ein monatliches Bruttogehalt von 2.400 € beschäftigt.
Zusätzlich war vereinbart, dass der Klägerin bis zum 31.03.2020 arbeitsvertraglich ein Provisionsanspruch zustand, der sich an den monatlichen Geschäftsabschlüssen orientierte. Dabei sollten die Provisionen zunächst in Euro berechnet und zum Zeitpunkt der Fälligkeit, also jeweils zum Ende des Folgemonats, zum „aktuellen Wechselkurs“ in die Kryptowährung Ethereum (ETH) umgerechnet werden. Der Provisionsanspruch sollte sodann auch in dieser Währung erfüllt werden.
Es erfolgten jedoch keine tatsächliche Übertragung von ETH und ebenfalls keine entsprechende Abrechnung der Provisionsansprüche bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2021. Die Klägerin forderte die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt mehrfach zur Leistung auf und hatte bereits am 11.08.2020 die für die Übertragung benötigten Wallet-Daten an die Beklagte übermittelt.
Im Rahmen der Gehaltsabrechnung für den Monat Dezember 2021 wurde der Klägerin sodann ein Betrag in Höhe von 15.200 € brutto seitens der Beklagten ausgezahlt, wobei die Klägerin diesen bei der Berechnung ihrer Klageforderung berücksichtigte. Daher forderte die Klägerin zuletzt noch die Übertragung der Kryptowährung zur Erfüllung ihres Anspruchs auf Zahlung von Provisionen für die Monate Februar und März 2020 in Höhe von 19,194 ETH.
Die Beklagte war hingegen der Auffassung, dass die etwaig bestehenden Provisionsansprüche bereits mit der im Dezember 2021 geleisteten Zahlung erfüllt worden seien. Im Übrigen stünde einer Erfüllung in Kryptowährung die Regelung des § 107 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) entgegen, wonach eine Zahlung des Arbeitsentgelts in Euro zwingend vorgesehen und eine Erfüllung in Kryptowährung nicht gestattet sei.
Das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Karlsruhe gab der Klage statt, ebenso das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Daraufhin legte die Beklagte Revision vor dem Bundesarbeitsgericht ein, welches das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufhob und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwies.
Gründe
Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg das pfändbare Einkommen im Sinne des § 107 Abs. 2 S. 5 5 GewO nicht richtig ermittelt. Dabei stehen der Klägerin die geltend gemachten Provisionsansprüche, die durch die Übertragung in Form der Kryptowährung ETH zu erfüllen sind, dem Grunde nach zu. § 107 Abs. 1 GewO sieht vor, dass das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und auszuzahlen ist, wobei gemäß Abs. 2 auch Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbart werden dürfen. Dabei darf der Wert der vereinbarten Sachbezüge die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen.
Das ETH fällt dabei unter den Begriff der Sachleistung. Dem Arbeitnehmer ist daher der unpfändbare Teil des Arbeitsentgelts in Geld auszuzahlen. Damit soll unter anderem gewährleistet werden, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, zunächst den Sachbezug in Euro umzuwandeln oder auf Sozialleistungen zurückzugreifen, um eine Deckung seiner existenziellen Bedürfnisse zu gewährleisten. Sofern der Sachbezug nicht teilbar ist, so ist die entsprechende vertragliche Vereinbarung sodann teilweise nichtig. Dann ist das Arbeitsentgelt bis zur Höhe der Pfändungsfreigrenze in Geld zu leisten und der Sachbezug entsprechend der Höhe nach zu kürzen.
Das Landesarbeitsgericht hat diese rechtlichen Vorgaben grundsätzlich korrekt angewendet, allerdings bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen die Steuer- und Sozialversicherungsabgaben nicht hinreichend ermittelt und berücksichtigt. Daher konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend feststellen, ob der Klägerin ein Anspruch auf Übertragung des ETH in der geforderten Höhe zusteht.
Bewertung
Bei der Kryptowährung ETH handelt es sich nicht um „Geld“ im Sinne des § 107 Abs. 1 GewO, hingegen fällt es unter den Begriff des Sachbezugs, sodass auch eine Auszahlung des Arbeits- oder Provisionsentgelts in Form einer Kryptowährung möglich ist. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn es dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Natur des Arbeitsverhältnisses entspricht, dass die Kryptowährung als Sachbezug gelten soll. Insofern ist den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Grundsätzlich ist es aufgrund der zunehmenden Relevanz von Kryptowährungen in der Wirtschaft und als Zahlungsmittel zeitgemäß, eine Bezahlung auch von Provisionsansprüchen mit „Kryptogeld“ zuzulassen.
In diesem Fall darf die Höhe der ausgezahlten Kryptowährung jedoch nicht den pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts überschreiten. Welche Höhe des Arbeitsentgelts dem pfändbaren Teil entspricht, ergibt sich aus den §§ 850 ff der Zivilprozessordnung (ZPO). Diese Regelung soll sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer zumindest der unpfändbare Betrag des Arbeitsentgelts direkt in Euro und somit zur freien Verfügbarkeit und Deckung der eigenen Grundbedürfnisse zur Verfügung steht.
Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.