
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.10.2024 – XII ZB 6/24, Pressemitteilung Nr. 229/2024 vom 04.12.2024
Hintergrund
Der Bundesgerichtshof befasste sich vor Kurzem mit der Frage, in welchem Umfang Kinder für Unterhaltsleistungen an ihre Eltern aufkommen müssen. Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen Sozialhilfeträger, der den Antragsgegner auf Zahlung von Elternunterhalt für dessen pflegebedürftige Mutter in Anspruch nehmen möchte.
Es geht dabei um den Zeitraum von Juli bis Dezember 2020. Die pflegebedürftige Mutter wurde im Jahr 1940 geboren und ist in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht. Von den Erträgen ihrer Sozialversicherungsrechte und den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung kann die Mutter die anfallenden Kosten ihrer Heimunterbringung nicht vollständig erbringen. Der Antragsteller kam im Zeitraum Juli bis Dezember 2020 für Sozialhilfeleistungen in einem Umfang von 1.500 € monatlich für die Mutter auf. Bei dem Antragsgegner – dem Sohn der Pflegebedürftigen – handelt es sich um einen verheirateten zweifachen Familienvater, der mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau in einem Einfamilienhaus lebt und ein Jahresbruttoeinkommen von 133.000 € einnahm.
Der Antragsteller reichte vor dem Amtsgericht Rheinberg einen Antrag auf Zahlung von 7.126 € ein, dieser wurde jedoch zurückgewiesen. Das daraufhin befasste Oberlandesgericht Düsseldorf gab der Beschwerde des Antragstellers ebenfalls nicht statt. Dabei berechnete das Oberlandesgericht den Selbstbehalt des Sohnes unter Berücksichtigung des Bruttoeinkommens und Abzug der zu erbringenden Steuern und Sozialabgaben, Unterhaltspflichten für ein volljähriges Kind, Aufwendungen, die in Verbindung mit seiner beruflichen Tätigkeit und seiner Altersvorsorge zu leisten sind, sowie Versicherungen.
Letztlich kam das Oberlandesgericht Düsseldorf zu dem Schluss, dass der Sohn nicht leistungsfähig sei, da sich seine unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte auf monatlich zwischen 5.451 € und 6.205 € belaufen würden. Der Mindestbehalt von unterhaltspflichtigen Kindern lasse sich auf Basis des Jahresbruttoeinkommens abzüglich von Steuern und Sozialabgaben feststellen, wobei ein monatlicher Mindestselbstbehalt von 5.000 € für Alleinstehende und 9.000 € bei Verheirateten als angemessen gelten würde. Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller eine Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein, der in der Sache zugunsten des Antragstellers entschied, und das Verfahren zurück an das Oberlandesgericht Düsseldorf verwies.
Gründe
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs war die Bemessungsgrundlage des Oberlandesgerichts Düsseldorf rechtsfehlerhaft und nicht mit den gesetzlichen Wertungen vereinbar. Die maßgebliche Vorschrift in diesem Kontext ist § 94 Abs. 1a Satz 1 und 2 des Zwölften Sozialgesetzbuchs (SGB XII). Demnach ist ein Unterhaltsanspruch, den eine – in diesem Fall – pflegebedürftige Mutter gegenüber ihren Kindern auf Unterhalt hat, dann nicht zu berücksichtigen, wenn das steuerrechtliche Jahresbruttoeinkommen der Kinder nicht über 100.000 € liegt.
Besteht ein Unterhaltsanspruch der pflegebedürftigen Person für die Zeit, in der ein Sozialhilfeträger für diese Person Leistungen erbringt, so geht dieser Unterhaltsanspruch in der Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialhilfeträger über. Dabei gehen jedoch Unterhaltsansprüche nicht über, wenn Unterhaltsansprüche nicht zu berücksichtigen sind, da das jährliche Gesamteinkommen der unterhaltspflichtigen Kinder oder Eltern nicht über 100.000 € liegt. Der Bundesgerichtshof stellte nun fest, dass der Umfang der sozialhilferechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten grundsätzlich nicht an den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflichten geknüpft werden kann.
Wird die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € überschritten, so gehen die gesamten Unterhaltsansprüche, die gegenüber dem Kind bestehen, auf den Sozialhilfeträger über und nicht lediglich der Teil, der über der Grenze von 100.000 € liegt. Das Oberlandesgericht hat bei der Bemessung des Mindestselbstbehalts zu großzügige Maßstäbe angesetzt, so der Bundesgerichtshof. Er stellte dabei weiterhin fest, dass der in den Leitlinien einiger Oberlandesgerichte festgesetzte Mindestselbstbehalt von zuletzt 2.650 € für das Jahr 2024 rechtlich unbedenklich ist.
Bewertung
Das sogenannte Angehörigen-Entlastungsgesetz, das im Jahr 2020 in Kraft trat, sieht einen Übergang der Unterhaltsansprüche, die Kinder gegenüber ihren Eltern haben, auf die grundsätzlich zur Leistung verpflichteten Sozialhilfeträger nur dann vor, wenn das maßgebliche Jahresbruttoeinkommen der Kinder 100.000 € überschreitet.
Dabei stellte der Bundesgerichtshof nun fest, dass dem Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht zu entnehmen ist, dass diese Einkommensgrenze für den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht maßgeblich ist. Letztlich bestimmt sich das Ausmaß des Selbstbehalts, den unterhaltspflichtige Kinder für sich behalten dürfen, nach den Umständen des Einzelfalls. Dass ein monatlicher Mindestselbstbehalt von 5.000 € für Alleinlebende bzw. 9.000 € für Verheiratete zu weitgehend bemessen ist, begründete der Bundesgerichtshof damit, dass bei der Vorwegbereinigung des Einkommens ohnehin schon großzügige Maßstäbe angesetzt werden.
Matthias Gollor
Anwalt für Familienrecht
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