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Arbeitsrecht: Arbeitszeiterfassung von Hausangestellten

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 19.12.2024 – C-531/23, Pressemitteilung Nr. 206/24 vom 19.12.2024

Hintergrund

Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied in dem vorliegenden Fall, dass Arbeitgeber von Hausangestellten eine Arbeitszeiterfassung der täglichen Arbeitsstunden ermöglichen müssen.

Geklagt hatte eine in Vollzeit arbeitende spanische Hausangestellte, die seit dem 15.09.2020 als solche bei ihren im Ausgangsverfahren beklagten Arbeitgebern tätig war. Im ersten Monat arbeitete sie 46 Stunden pro Woche, ab dem 19.10.2020 leistete sie 79 Stunden wöchentlich. Im Februar 2021 wurde die Klägerin entlassen und erhob darauf vor den spanischen Nationalgerichten eine Klage auf Feststellung, dass es sich um eine unrechtmäßige Entlassung handelte und ihr außerdem die Vergütung von geleisteten Überstunden und nicht genommenen Urlaubstagen zustünde.

Das spanische Gericht gab der Klägerin teilweise Recht und erklärte zum einen die Entlassung für ungerechtfertigt und verurteilte außerdem die Beklagten zu der Zahlung einer Geldsumme zur Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage. Hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden und des insofern geforderten Lohns konnte die Klägerin keinen Nachweis erbringen, da die Beklagten kein System der Arbeitszeiterfassung eingeführt hatten. Entsprechend einer nationalen spanischen Sonderregelung sind bestimmte Arbeitgeber, so etwa Haushalte, von der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer befreit.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin ein Rechtsmittel bei dem Obergericht des Baskenlands in Spanien ein. Dieses Gericht hegte Zweifel über die Vereinbarkeit dieser Ausnahmeregelung mit dem Unionsrecht, da diese gegen die Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) verstoßen könnte. Da in Spanien weit überwiegend Frauen als Hausangestellte tätig sind – der Anteil liegt bei 95 % weiblichen Beschäftigten – könne außerdem eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern, die unter den Aspekten des Gleichheitsgebots und Diskriminierungsverbots der Grundrechte-Charta problematisch sein könnte, vorliegen.

Daher beschloss das spanische Gericht eine Aussetzung des Verfahrens und rief den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens an.

Gründe

Der Gerichtshof der Europäischen Union wies in seinem Urteil darauf hin, dass er bereits in einem vergangenen Urteil aus dem Jahr 2019 festgestellt hatte, dass die damals geltende nationale spanische Regelung, die keine Verpflichtung zur Einrichtung von Systemen zur täglichen Arbeitszeiterfassung vorsah, unvereinbar mit der europäischen Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung war. Im Nachgang zu diesem Urteil verpflichtete die spanische Legislative die Arbeitgeber zur Einrichtung solcher Zeiterfassungssysteme.

Gemäß Art. 3, 5 und 6 der Arbeitszeitrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, die gewährleisten, dass einem Arbeitnehmer eine tägliche Ruhezeit, Ruhepausen von einer gewissen Dauer, sowie wöchentliche Ruhezeiten garantiert werden. Damit die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie gewährleistet wird, müssen Mitgliedstaaten daher Maßnahmen festlegen, welche die Umsetzung der Richtlinie sicherstellen. Dabei sind den Mitgliedstaaten grundsätzliche gewisse Spielräume eingeräumt, wie die Umsetzung der in dieser Richtlinie verkörperten Rechte vollzogen werden soll; insbesondere welche Systeme zur Umsetzung eingeführt werden, steht den Mitgliedstaaten frei.

Durch diese Spielräume dürfen jedoch die verkörperten Rechte – in diesem Falle der effektive Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer – nicht ausgehöhlt werden. Es muss also ein System eingeführt werden, welches eine zuverlässige Zeiterfassung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer sicherstellt. Dabei dürfen zwar für gewisse Arbeitnehmer, wie etwa Hausangestellte, Ausnahmen gemacht werden, jedoch darf die fragliche unionsrechtliche Vorschrift nicht ihres Wesensgehalts beraubt werden – so der Gerichtshof der Europäischen Union.

Bewertung

Der Gerichtshof der Europäischen Union wies vorliegend darauf hin, dass auch bei Hausangestellten ein System zur Arbeitszeiterfassung bestehen muss. Das spanische Gericht hat nun zu prüfen, ob durch die nationale Regelung die Pflicht zur Einhaltung von Ruhe- und Pausenzeiten, welche in der Richtlinie vorgesehen ist, ihres Wesensgehalts beraubt wird. Auch die Frage, ob eine mittelbare Diskriminierung von Frauen aufgrund der Regelung vorliegt, ist nun von dem spanischen Gericht zu prüfen.

Grundsätzlich besteht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitgeber, wobei nur aufgrund bestimmter Eigenheiten des Arbeitgebers davon abgewichen werden darf. Dass insbesondere die strukturell schwächere Position des Arbeitnehmers in einem Arbeitsvertrag zu berücksichtigen ist, stellte der Gerichtshof der Europäischen Union ebenfalls noch einmal klar. Den Ausgangsfall hat das spanische Gericht nun unter Berücksichtigung dieses Urteils zu entscheiden. Jedenfalls muss eine nationale Regelung bestehen, die sicherstellt, dass die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten werden.

Claudia Lorig
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

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