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Verkehrsrecht: Haftung eines aus einem Grundstück in die Straße einfahrenden PKW-Fahrers

Landgericht Hanau, Urteil vom 30.08.2024 – 2 S 65/22

Hintergrund

Dass ein aus einem Grundstück auf eine befahrene Straße ausfahrender PKW-Fahrer im Falle einer Kollision mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrradfahrer, der jedoch nicht auf dem Fahrradweg, sondern auf der Straße und somit vorschriftswidrig fährt, alleine für den Unfall haften kann, entschied das Landgericht Hanau in dem vorliegenden Fall.

Der Unfall geschah, als die Beklagte auf ihrem Fahrrad die Hauptfahrspur der Straße nutzte, obwohl ein kombinierter Fahrrad- und Fußgängerweg vorhanden war, den sie hätte nutzen müssen entsprechend der StVO-Vorschriften. Die Klägerin bog mit ihrem PKW von ihrem Grundstück auf die Straße und fuhr dabei langsam auf die Fahrbahn, wobei ihre Sicht jedoch durch parkende PKW teilweise verdeckt wurde. Bei diesem Ausfahrprozess kam es zu einer Kollision mit der Beklagten, die mit ihrem Fahrrad gegen die linke vordere Seite des PKWs der Klägerin stieß.

Die Klägerin macht einen an dem Kfz entstandenen Schaden in Höhe von 2.255,66 € geltend und verlangt von der Beklagten den Ersatz von 1.140 € und begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von anteilig 50 % von sämtlichen materiellen Zukunftsschäden. Das erstinstanzlich befasste Amtsgericht Hanau wies die Klage ab mit der Begründung, dass kein schuldhaftes Verhalten der Beklagten vorgelegen hätte, da diese zwar nicht den Fahrradweg nutzte, dies jedoch ohne den erforderlichen Zurechnungszusammenhang zu dem Unfallereignis geschehen sei. Dagegen legte die Klägerin Berufung vor dem Landgericht Hanau ein.

Gründe

Das Landgericht Hanau schloss sich in der Sache der Ansicht des Amtsgerichts Hanau an und verneinte einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz gegen die Beklagte. Dieser hätte sich aus § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergeben können, jedoch trifft die Beklagte kein Mitverschulden an dem Unfall, sondern dieser ist allein durch das Verhalten der Klägerin verursacht worden.

Bei dem Einfahren in eine Straße von einem Grundstück, aus einem verkehrsberuhigten Bereich oder aus einer Fußgängerzone legt § 10 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) fest, dass ein derartiges Verhalten an den Tag zu legen ist, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Wenn dies nicht alleine bewerkstelligt werden kann, so muss sich der Fahrer gegebenenfalls einweisen lassen. Die Klägerin verletzte vorliegend das Vorfahrtsrecht der beklagten Fahrradfahrerin, ein Verschulden der Klägerin ist indiziert. Somit hat die Klägerin vollumfänglich für den Schaden zu haften.

Der Beklagten ist auch kein Mitverschulden vorzuwerfen. Indem sie nicht den Fahrrad-/Fußgängerweg nutzte, sondern auf der Hauptfahrstraße fuhr, verletzte sie zwar § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO, welcher vorsieht, dass ein Pflicht zur Nutzung des Fahrradweges besteht, wenn dies durch ein entsprechendes Verkehrszeichen angeordnet ist, jedoch besteht kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen diesem verkehrswidrigen Verhalten und dem entstandenen Unfall.

In dem Unfall muss sich gerade die Gefahr verwirklichen, die sich aus dem Vorschriftsverstoß ergibt und die mit der in Frage stehenden Norm verhindert werden sollte. Es genügt also nicht, wenn der Unfall ohne den Verkehrsverstoß hätte vermieden werden können, sondern dem Regelverstoß muss gerade die Gefahr entspringen, die sich dann in dem Schaden realisiert hat. Das Gebot, auf einem Radweg zu fahren, wenn ein solcher vorhanden ist, dient jedoch nicht der Vermeidung von Unfällen aufgrund von Vorfahrtsmissachtungen. Daher kann der beklagten Radfahrerin trotz ihres Verstoßes gegen die StVO kein Mitverschulden angelastet werden und die Klägerin muss den Schaden im vollen Umfang tragen.

Bewertung

Die Klägerin hätte sich vorliegend beim Einfahren in die Straße einweisen lassen müssen, da die Verkehrssituation für sie aufgrund der parkenden Autos schwer einsehbar und unübersichtlich war. Sie durfte nicht darauf vertrauen, dass die Straße, in die sie einfuhr, frei war, weshalb das maßgebende den Unfall verursachende Verhalten ihr anzulasten ist.

Daran ändert sich auch nichts aufgrund des verkehrswidrigen Verhaltens der Fahrradfahrerin, die entgegen der Vorschriften nicht auf dem vorgesehenen Fahrradweg fuhr. Der maßgebende Schutzzweck der Regelung zur Benutzung von Fahrradwegen ist die Vermeidung von typischen Gefahrensituationen im gemischten Straßenverkehr, der aus Fahrrädern und Autos gleichermaßen besteht.

Durch die zwingende Nutzung von Radwegen soll die Gefährdung von Radfahrern durch schwankend fahrende Autos und zu geringe Seitenabstände verringert werden. Die Gefährdung von Radfahrern durch vermeidbare Vorfahrtsverstöße anderer Verkehrsteilnehmer zu verringern, hat die Norm jedoch gerade nicht zum Zweck. Somit bestand kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem entstandenen Unfall und dem Verhalten der Fahrradfahrerin und dieser kann daher keine Teilschuld an dem Unfall angelastet werden.

Frank Sattler
Anwalt für Verkehrsrecht

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