
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2024 – 8 AZR 21/24
Hintergrund
In dem unter dem Begriff des „AGG-Hopping“ bekannt gewordenen Fall hatte vorliegend ein heute 30-jähriger Mann, der ausgebildeter Industriekaufmann ist, und ein Fernstudium im Wirtschaftsrecht anstrebte, mehrfach von verschiedenen deutschlandweit tätigen Unternehmen eine Entschädigungszahlung auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) begehrt.
Unter anderem bewarb sich der Kläger im Jahre 2021 über das Online-Portal eBay Kleinanzeigen auf eine Stellenausschreibung einer Kfz-Werkstatt, die für eine „Sekretärin“ ausgeschrieben war. Der Kläger gab dabei an, technisch versiert und für die Stelle entsprechend qualifiziert zu sein. Letztlich fragte er gegenüber dem Unternehmen, ob dieses lediglich eine Sekretärin, also eine weibliche Besetzung, suchen würde – seine Bewerbung wurde jedoch abgelehnt.
Im August 2021 bewarb sich der Kläger in einem ähnlich gelagerten Fall auf die Stelle eines Unternehmens in Berlin, welches ebenfalls eine „Sekretärin“ suchte. Da dem damals zuständigen Arbeitsgericht Berlin allein vor diesem Gericht elf Klagen des Klägers innerhalb eines Zeitraumes von 15 Monaten aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bekannt waren, lehnte das Gericht das Entschädigungsverlangen als rechtsmissbräuchlich ab. Dabei war allen Klagen gemein, dass der Kläger sich auf eine als „Sekretärin“ ausgeschriebene Stelle unter der Verwendung des stets identischen Anschreibens beworben hatte und bei Absagen dann auf Entschädigung klagte.
Auch gegenüber diversen anderen Unternehmen bewarb sich der Kläger stets auf entsprechende Stellen als „Sekretärin“, machte bei einer Ablehnung mit der Begründung, dass eine Frau gesucht würde, stets einen Entschädigungsanspruch geltend und klagte diesen gegenüber den zuständigen Arbeitsgerichten ein. Teilweise übersandte der Kläger nicht einmal einen Lebenslauf im Rahmen seiner Bewerbung. In Rahmen dieser Verfahren stellten diverse damit befasste Gerichte fest, dass sich der Kläger lediglich auf diese Stellen bewerbe, um sich eine Einnahmequelle hinsichtlich der Entschädigungsansprüche zu erschließen, den formalen Status als Bewerber zu erlangen und es sich dabei um rechtsmissbräuchliches Verhalten handele.
In dem vorliegenden Fall ging es um eine Bewerbung bei dem hier beklagten Unternehmen, das seinen Sitz in Dortmund hat und eine Stellenanzeige als „Bürokauffrau/Sekretärin“ ausgeschrieben hatte. Von der hier Beklagten verlangte der Kläger nun die Zahlung einer Entschädigung von mindestens 6.000 € basierend auf § 15 Abs. 2 AGG mit der Begründung, dass die Stellenausschreibung entgegen der § 11 und § 7 Abs. 1 AGG nicht geschlechtsneutral formuliert gewesen wäre. Die Beklagte hätte die sich daraus ergebende Vermutung, dass die Bewerbung des Klägers aufgrund seines Geschlechts nicht erfolgreich war, nicht widerlegen können.
Das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Dortmund wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht Hamm bejahte ebenfalls ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Dies bestätigte nun auch das Bundesarbeitsgericht.
Gründe
Auch das Bundesarbeitsgericht bejahte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers, da dieser sich nur beworben habe, um den formalen Status als Bewerbers zu erlangen, und im Falle einer Ablehnung Schadensersatz und Entschädigungsansprüche geltend zu machen, jedoch nicht, um die entsprechenden Stellen tatsächlich anzutreten. Darin sah auch das Bundesarbeitsgericht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, weshalb die Rechtspositionen, die der Kläger verfolgte, nicht schutzwürdig waren.
Das Bundesarbeitsgericht schloss sich dabei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens dahingehend an, dass sowohl subjektive als auch objektive Merkmale des Rechtsmissbrauchs gegeben sein müssten. Beide Elemente bejahte das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall, zumal der Kläger die Absicht hatte, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen auf der Basis von willkürlich geschaffenen Voraussetzungen. Aufgrund der weiten Distanz des Wohnorts des Klägers zu der potenziellen Tätigkeitsstelle und der zeitlichen Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit einem Vollzeitstudium, bejahte das Gericht auch das objektive Merkmal des Rechtsmissbrauchs.
Bewertung
Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann im Falle einer Benachteiligung ein Anspruch auf angemessene Entschädigung bestehen. Eine Benachteiligung im Sinne des AGG liegt vor, wenn eine Person aus Gründen der Rasse, wegen der ethischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schlechter behandelt wird.
Grundsätzlich kann ein solcher Anspruch bestehen, wenn ein potenzieller Bewerber auf eine Stelle lediglich aufgrund seines Geschlechts abgelehnt wird. Auch die Tatsache allein, dass ein Kläger gleichzeitig verschiedene AGG-Entschädigungsverfahren betreibt, genügt noch nicht, um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu bejahen. Um einen Rechtsmissbrauch nachzuweisen, müssen sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.
Mit diesem Urteil entschied nun das Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich, dass das Verhalten des Klägers – das Einreichen unzähliger Bewerbungen allein mit dem Ziel, Entschädigungsklagen zu betreiben – rechtsmissbräuchlich ist, und ihm ein Anspruch auf Entschädigung daher nicht zusteht.
Hagen Albus
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.