Permalink

0

Arbeitsrecht: Anspruch auf Urlaubsabgeltung während des Mutterschutzes

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2024 – 9 AZR 226/23

Hintergrund

Zwischen den Parteien ist die Abgeltung von 68 Urlaubstagen, die in den Jahren 2017 bis 2020 entstanden sind, strittig. Die Klägerin war während dieses Zeitraums bei der Beklagten als Zahnärztin tätig, wobei ihr aufgrund des Arbeitsvertrags in jedem Kalenderjahr 28 Urlaubstage zustanden.

Ab dem 01.12.2017 bestand für die damals schwangere Klägerin ein Beschäftigungsverbot, welches die Beklagte aussprach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin noch einen verbleibenden Anspruch auf fünf Urlaubstage aus dem laufenden Kalenderjahr. Auf das schwangerschaftsbedingte Beschäftigungsverbot folgten aufgrund der Mutterschutzfristen und Stillzeiten sowie der Geburt eines weiteren Kindes mit einem nahtlosen Übergang mehrere weitere Beschäftigungsverbote.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten im Juni 2020 die Abgeltung von insgesamt 68 Urlaubstagen aus den Jahren 2017 bis 2020, wobei sich dies aus den fünf Resturlaubstagen aus dem Jahr 2017, sowie aus jeweils 28 Tagen aus den Jahren 2018 und 2019 und aus sieben Urlaubstagen aus dem Jahr 2020 zusammensetzt. Die Abgeltungssumme beträgt dabei 193,04 € brutto pro Urlaubstag. Nach Ansicht der Klägerin sind die Urlaubsansprüche während der Beschäftigungsverbote in voller Höhe entstanden und nicht durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im März 2020 erloschen. Daher forderte die Klägerin die Zahlung von 13.126,72 € brutto nebst Zinsen.

Die Beklagte hingegen lehnte eine Zahlung ab, da keine Urlaubsansprüche entstanden seien. Da aufgrund der nahtlos ineinandergreifenden Beschäftigungsverbote keine Arbeitspflicht bestünde, sei auch kein Urlaubsanspruch entstanden, der mit dem Zweck der Erholung von der Arbeitstätigkeit gewährt werden würde. Darüber hinaus seien etwaige Urlaubsansprüche aus dem vorherigen Jahr mit Ablauf des Monats März im jeweiligen Folgejahr erloschen.

Das Arbeitsgericht Leipzig und das Landesarbeitsgericht Sachsen gaben der Klage in der ersten und zweiten Instanz statt. Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Gründe

Das Bundesarbeitsgericht bejahte einen Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des Urlaubsanspruches, da die Forderung gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) begründet ist. Dieser statuiert, dass ein Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.

Dazu müssen im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses offene Urlaubsansprüche bestehen. Dies war bei der Klägerin insofern der Fall, als dass ihr für das Jahr 2017 zu Beginn des gemäß § 4 Mutterschutzgesetzes (MuSchG) angeordneten Beschäftigungsverbotes noch fünf Tage Urlaub zustanden. Für die Jahre 2018 und 2019 stand der Klägerin ein voller Urlaubsanspruch in Höhe von 28 Tagen zu und für das Jahr 2020 aufgrund der zum 31.03.2020 erfolgten Vertragsbeendigung noch ein Teilurlaubsanspruch im Umfang eines Viertels des Jahresurlaubs, somit in Höhe von sieben Arbeitstagen.

Diese Urlaubsansprüche wurden trotz der Beschäftigungsverbote, die für die Klägerin galten begründet, da gemäß § 24 Satz 1 MuSchG die durch ein Beschäftigungsverbot entstehenden Ausfallzeiten als Beschäftigungszeiten gelten. Für die Urlaubsberechnung sind somit Arbeitszeiten, die unter ein Beschäftigungsverbot fallen, ebenso zu berücksichtigen. Dabei umfasst dies nicht nur den gesetzlich vorgesehenen Mindesturlaub, sondern darüber hinaus auch einen etwaigen bestehenden Mehrurlaub.

Außerdem sind die Urlaubsansprüche der Klägerin auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BurlG aufgrund des Umstandes, dass der Urlaub nicht im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen wurde, erloschen. Eine Übertragung des Urlaubs ist grundsätzlich nur in den ersten drei Monaten des darauffolgenden Kalenderjahrs zulässig. Dem steht jedoch die Regelung des § 24 Satz 2 MuSchG entgegen, welche festlegt, dass der Resturlaub nach Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr genommen werden kann, wenn der Urlaub vor Beginn des Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig genommen wurde.

Liegen wie im vorliegenden Fall mehrere, aneinander anknüpfende Beschäftigungsverbote vor, so kann die Arbeitnehmerin ihren Urlaub erst nach Ablauf des letzten Beschäftigungsverbots „erhalten“. Somit konnte die Klägerin ihren Urlaubsanspruch erst nach Ende des letzten Beschäftigungsverbots beanspruchen, weshalb das Bundesarbeitsgericht ihr einen Anspruch auf Abgeltung der 68 Urlaubstage zusprach.

Bewertung

Die Beurteilung des Bundesarbeitsgerichts ist kongruent zu der gesetzlichen Regelung des § 24 MuSchG, der maßgebend im vorliegenden Fall war. Urlaubsansprüche entstehen auch während der Zeit von Beschäftigungsverboten, wie sie etwa schwangerschaftsbedingt bestehen können, und können erst von der Arbeitnehmerin beansprucht werden, wenn das letzte Beschäftigungsverbot abgelaufen ist. Dies folgt zum einen aus dem Gesetzeswortlaut der Vorschrift, wonach ausschlaggebend ist, ob der Urlaub vor einem etwaigen anschließenden weiteren Beschäftigungsverbot genommen werden konnte.

Auch aus teleologischer und unionsrechtlicher Hinsicht ist es stimmig, die Möglichkeit der Wahrnehmung des Urlaubs an das Ende des letzten Beschäftigungsverbots zu knüpfen. Die vom Bundesarbeitsgericht gewählte Auslegung der Vorschrift steht außerdem in einer Parallele zu der entsprechenden Regelung bei Elternzeiten, da auch dort eine Ausnahme von der Grundregel, dass Urlaubsansprüche im laufenden Kalenderjahr wahrgenommen oder abgegolten werden müssen, besteht.

Konstantin Theodoridis
Anwalt für Arbeitsrecht

Welche Mandanteninteressen unsere Anwaltskanzlei in Bonn vertritt, ersehen Sie auf der Homepage.

Ihre Meinung interessiert uns!

Hinterlassen Sie uns ihr Feedback und diskutieren Sie mit uns über aktuelle wirtschaftsrechtliche Fälle aus den Bereichen Arbeitsrecht, Medizinrecht, Marken- und Designrecht sowie weiteren Themen. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen.

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.