Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11.09.2024, 4 Sa 10/24
Hintergrund
Vorliegend streiten die Parteien über die Pflicht zur Zahlung von Lohnvergütung für den Zeitraum zwischen Juli 2021 und August 2022. Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der seit dem Jahre 2014 bei der Beklagten angestellt war.
Im Januar 2021 wollte die beklagte Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 30.06.2021 durch eine außerordentliche Kündigung beendigen. Dagegen wandte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage an das Arbeitsgericht Stuttgart, welches am 15.09.2021 in einem Urteil feststellte, dass die Kündigung nicht wirksam war. Das in der Berufungsinstanz befasste Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg bestätigte dies. Der Kläger begehrt nun die Arbeitslohnzahlung für den Zeitraum ab Juli 2021.
In dem streitigen Zeitraum bemühte sich der Kläger bei der Agentur für Arbeit um einen anderweitigen Arbeitsplatz, erhielt jedoch in dem gesamten Zeitraum kein Vermittlungsangebot. Dass er gerne zu seinem bisherigen Arbeitsplatz bei der Beklagten zurückkehren wollen würde, hatte der Kläger gegenüber der Agentur für Arbeit bekundet. Weitere eigenen Initiativen, sich selbstständig um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, ergriff der Kläger nicht, da er nach eigenen Angaben dazu keine Notwendigkeit sah, insbesondere da für ihn feststand, dass er in sein bisheriges Arbeitsverhältnis zurückkehren wollte.
Nach seiner Ansicht habe die Beklagte den Kläger ab dem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart weiterbeschäftigen können, um zu verhindern, in den Verzug der Annahme der Arbeitsleistung zu geraten und dadurch bedingt dem Kläger Verzugsvergütung zu zahlen. Der Zeitraum zwischen dem erstinstanzlichen Urteil und dem Ende der Kündigungsfrist wiederum sei derart kurz gewesen, dass der Kläger sich in diesem Zeitraum nicht um eine anderweitige Arbeitsstelle bemüht habe.
Die beklagte Arbeitgeberin wiederum ist der Ansicht, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, eine anderweitige Arbeit zu finden, indem er keine eigenen Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen habe. Es habe ausweislich des Arbeitsmarktreports zu diesem Zeitraum einige freie Stellen in dem Arbeitsbereich des Klägers gegeben und bei entsprechenden Bemühungen hätte der Kläger eine Stelle finden können. Daher lehnte die Beklagte die Zahlung der Lohnvergütung ab.
Das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Stuttgart gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der Annahmeverzugsvergütung, woraufhin die Beklagte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg einlegte, welches ebenfalls zugunsten des Klägers entschied.
Gründe
In dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg wurde dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der Annahmeverzugsvergütung zugesprochen gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Im Falle einer unwirksamen Kündigung kommt der Arbeitgeber hinsichtlich der Annahme der Leistung des Arbeitnehmers in die Situation des sogenannten Annahmeverzugs, wenn er den Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigt. Aufgrund der vorliegenden Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, den Kläger weiter zu beschäftigen und diesem seine Lohnvergütung zu zahlen.
Gemäß § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KschG) muss sich der der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg verneinte ein solches böswilliges Unterlassen des Klägers vorliegend. Die Beweis- und Darlegungslast dafür, dass der Arbeitnehmer eine ihm zumutbare Tätigkeit hätte finden können, trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Wenn der Arbeitgeber beweist, dass er dem Arbeitnehmer konkrete Stellenangebote gemacht hat, so muss wiederum der Arbeitnehmer konkret dazu vortragen, warum er diese Stellenangebote nicht angenommen hat. Dies ist ein Ausdruck der abgestuften Darlegungs- und Beweislast.
Diese Beweislast, die den Arbeitnehmer trifft, wird jedoch nicht dadurch ausgelöst, dass der Arbeitgeber darlegt, es hätten Stellenangebote bestanden, die auf dem Internetportal der Agentur für Arbeit ausgeschrieben waren. Die Beklagte hatte jedoch genau das getan und die fraglichen Stellenangebote erst nach Ende des Verzugszeitraums ermittelt, was nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg nicht genügt, um eine erweiterte Darlegungslast des Klägers hinsichtlich der Frage, warum er diese fraglichen Stellenangebote nicht wahrgenommen habe, auszulösen.
Bewertung
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ist insofern spannend, als dass es von der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts abweicht. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts wird eine erweiterte Darlegungslast des Arbeitnehmers auch dadurch ausgelöst, dass er der Agentur für Arbeit mitteilt, dass kein Interesse an etwaigen Vermittlungsangeboten bestehen würde und der Arbeitgeber nach Ablauf des Verzugszeitraums Kenntnis von anderweitig bestehenden Stellenangeboten erlangt. In dieser Situation wäre dann der Arbeitnehmer verpflichtet aufgrund des Rechtsgedankens der Bedingungsvereitelung darzulegen, dass eine potenzielle Bewerbung von ihm auf diese Stellen nicht erfolgreich gewesen wäre.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sah vorliegend der Darlegungs- und Beweispflicht des Klägers Genüge getan und war der Ansicht, dass diese nicht durch den Umstand, dass der Kläger gegenüber der Agentur für Arbeit sein mangelndes Interesse an anderweitigen Arbeitsstellen bekundete und die Beklagte anschließend erfuhr, dass auf der Jobbörse der Agentur für Arbeit Stellen ausgeschrieben waren, ausgelöst wurde. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen und ist bereits bei dem Gericht anhängig. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird am 15.01.2025 erwartet.
Claudia Lorig
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.