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Arbeitsrecht: Anfechtbarkeit einer im Wege der Briefwahl durchgeführten Betriebsratswahl

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.10.2024 – 7 ABR 34/23, Pressemitteilung Nr. 28/24 vom 23.10.2024

Hintergrund

Das Bundesarbeitsgericht befasste sich vorliegend mit der Frage, unter welchen Bedingungen eine Betriebsratswahl wirksam ist, wenn sie aufgrund von Homeoffice- und Kurzarbeitsregelungen von einigen Arbeitnehmern als Briefwahl vorgenommen wird.

Bei der Arbeitgeberin des vorliegenden Falles handelt es sich um eine Produzentin von Kraftfahrtzeugen, die an verschiedenen Orten Produktionsstätten hat. An der Produktionsstätte in Wolfsburg fand im Frühjahr 2022 turnusgemäß eine Betriebsratswahl statt. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften infolge der Corona-Pandemie galt damals eine „bis auf Weiteres“ befristete betriebliche Anordnung, welche die Arbeitnehmer dazu anhalten sollte, ihrer Arbeit weitestgehend im Homeoffice nachzugehen. Lediglich solche Arbeitnehmer, deren Tätigkeit lediglich bei Anwesenheit im Betrieb vor Ort erbracht werden konnte, sollten von dieser Anordnung befreit sein.

Zusätzlich zu der Homeoffice-Anordnung kam es ab Mitte Februar 2022 bedingt durch Produktionsausfälle zu Kurzarbeit. Die Betriebsratswahl sollte im Zeitraum zwischen dem 14.03. und dem 18.03.2022 stattfinden, also zu einem Zeitraum, zu dem einerseits die betriebliche Anordnung weiterhin galt und sich andererseits viele Produktionsmitarbeiter in Kurzarbeit befanden.

Der Wahlvorstand beschloss daher, alle aufgrund der Kurzarbeit betriebsabwesenden Produktionsmitarbeiter einer schriftlichen Stimmabgabe per Briefwahl zuzuordnen. Außerdem übersandte der Wahlvorstand an etwa 26.000 in der Verwaltung tätige Arbeitnehmer ebenfalls unaufgefordert Unterlagen zur Briefwahl. Es beteiligten sich an der Betriebsratswahl 39.498 Wahlberechtigte, von denen etwa 35.000 ihre Stimme im Wege der Briefwahl abgaben.

Im Anschluss an die Betriebsratswahl fochten mehrere wahlberechtigte Arbeitnehmer diese an und rügten dabei verschiedene Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und der Wahlordnung zur Durchführung des BetrVG. Nach ihrer Ansicht war die Versendung von Briefwahlunterlagen an alle Arbeitnehmer, die sich im Homeoffice oder in Kurzarbeit befanden, nicht mit der Wahlordnung vereinbar.

Das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Braunschweig gab dem Antrag statt und erklärte die Betriebswahl für unwirksam. Das daraufhin befasste Landesarbeitsgericht Niedersachsen wiederum wies den Antrag ab. Daraufhin legten die Antragsteller eine Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht ein, welches den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufhob und die Sache erneut zur weiteren Anhörung und Entscheidung dorthin zurückverwies.

Gründe

Die Beschäftigten, die sich gegen die Wirksamkeit der Betriebswahl wenden, machen verschiedene Unwirksamkeitsgründe geltend, darunter, dass der Vorrang einer Urnenwahl gegenüber einer Briefwahl nicht eingehalten worden wäre, indem einigen Arbeitnehmern unzulässigerweise Briefwahlunterlagen zugesendet und somit die Briefwahl angeordnet worden wäre. Außerdem seien in vielen Fällen die Briefwahlunterlagen erst verspätet bei den Arbeitnehmern eingegangen und Briefwahlrückläufer seien nicht hinreichend gesichert worden.

Das Landesarbeitsgericht hat eine Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl aufgrund von Verstößen gegen die vorgeschriebenen Wahlverfahrensregeln verneint. Im Grunde schloss sich das Bundesarbeitsgericht dieser Entscheidung an und befand, dass die meisten der von den Antragstellern gerügten Wahlfehler keine Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl begründen.

Als problematisch sah jedoch auch das Bundesarbeitsgericht die Zusendung der Briefwahlunterlagen an. Maßgebend dafür ist die Regelung des § 24 der Wahlordnung des BetrVG, wonach den Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie voraussichtlich zum Zeitpunkt der Wahl etwa aufgrund von Heimarbeit nicht im Betrieb anwesend sein werden, die erforderlichen Wahlunterlagen ohne ein entsprechendes vorheriges Verlangen des Wahlberechtigten zuzusenden sind.

Diese Regelung greift unproblematisch für Arbeitnehmer, die während der Wahl aufgrund von vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind. Möglicherweise hat der Wahlvorstand jedoch vorliegend auch an zur mobilen Arbeit berechtigte Arbeitnehmer Briefwahlunterlagen übersandt, die jedoch lediglich aufgrund von Unabkömmlichkeit nicht im Betrieb anwesend sind. Darin würde ein Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 der Wahlordnung liegen. Da insofern jedoch der Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt ist, verwies das Bundesarbeitsgericht die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.

Bewertung

Die Wahlordnung zur Wahl des Betriebsrats stellt insbesondere an die Möglichkeiten einer Briefwahl strenge Anforderungen. Ob diese im vorliegenden Fall der Betriebsratswahl am Wolfsburger Produktionsstandort von VW eingehalten wurden, beschäftigte vorliegend das Bundesarbeitsgericht.

Nachdem das Landesarbeitsgericht Niedersachsen der Ansicht war, dass die positive Kenntnis des Wahlvorstandes hinsichtlich der individuellen Umstände nicht notwendig ist, sondern lediglich die Kenntnis davon, dass ein Arbeitnehmer einer Gruppe von Arbeitnehmern angehört, bei denen die naheliegende Möglichkeit besteht, dass diese Gruppe voraussichtlich zum Zeitpunkt der Wahl nicht im Betrieb anwesend sein wird, schloss sich das Bundesarbeitsgericht dieser vom Landesarbeitsgericht angewandten weiten Auslegung des Wortlautes hinsichtlich des Merkmals „voraussichtlich“ nicht an.

Die Zusendung von Briefwahlunterlagen an Arbeitnehmer, die berechtigt sind, mobil zu arbeiten, jedoch zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl im Betrieb anwesend sein werden, ist nämlich nicht mit § 24 Abs. 2 Nr. 1 der Wahlordnung vereinbar. Ob ein solcher Verstoß seitens des Wahlvorstandes vorliegt, hat nun das Landesarbeitsgericht weiter aufzuklären. Letztlich könnte es sich bei einem solchen Verstoß jedenfalls um einen derart Wesentlichen handeln, dass eine Anfechtbarkeit der Wahl tatsächlich Erfolg haben könnte. Eine Anfechtbarkeit aufgrund der anderweitigen gerügten Verfahrensfehler lehnte das Bundesarbeitsgericht ab.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.

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