Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2024 – 12 SaGa 886/24, Pressemitteilung Nr. 20/24 vom 11.10.2024
Hintergrund
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg befasste sich vor Kurzem mit der im gerichtlichen Eilverfahren zu entscheidenden Frage der Zulässigkeit eines Streiks in den Kitas der Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin. Die Gewerkschaft ver.di hatte am 26.09.2024 zu einem unbefristeten Streik in den benannten Kitas aufgerufen.
Dieser Streik sollte dem Zweck dienen, Tarifverhandlungen mit dem Land Berlin zu erzwingen, und war auf unbefristete Zeit angesetzt. Die Tarifverhandlungen sollten hinsichtlich einer Regelung einer Mindestpersonalausstattung in den Kitas, hinsichtlich Regelungen zum Belastungsausgleich und einem Konsequenzenmanagement und bezüglich der Zeit, die für die Betreuung von Auszubildenden zur Verfügung steht, geführt werden.
Die fraglichen Tarifregelungen richten sich bei den Kita-Eigenbetrieben des Landes Berlin nach dem zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).
Auf die Forderung der Gewerkschaft nach Tarifverhandlungen ging das Land Berlin nicht ein, sondern lehnte diese ab mit der Begründung, dass das Land Berlin als Mitglied der TdL entsprechend deren Satzung keine Tarifverträge, die von den Regelungen des TV-L abweichen, schließen dürfe. Andernfalls würde die TdL das Land Berlin aus dem Arbeitgeberverband der TdL ausschließen, so habe es die TdL bereits angekündigt.
Außerdem führte das Land Berlin aus, dass die Streikforderungen der Gewerkschaft ver.di gegen die Friedenspflicht während laufender Verträge verstoßen würden. Dies sei insbesondere mit Hinblick auf die geforderten Entlastungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Erzieher und für die geforderte zusätzliche Zeit zur Betreuung von Auszubildenden der Fall.
Der Streik war ab dem 30.09.2024 angekündigt, das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Berlin untersagte den Streik jedoch in einem Urteil am 27.09.2024. Daraufhin wandte sich die Gewerkschaft ver.di an das Landesarbeitsgericht, welches das Urteil des Arbeitsgerichts jedoch bestätigte.
Gründe
Das Landesarbeitsgericht sah die Streiks der Gewerkschaft hinsichtlich der Beschäftigten in Kitas im Eigenbetrieb des Landes grundsätzlich als rechtswidrig an und untersagte daher auch den aktuellen Streik. Grundsätzlich ist das Recht einer Gewerkschaft zu Arbeitskampfmaßnahmen zwar gemäß Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützt, jedoch überwiegt dies im vorliegenden Fall nicht das Risiko des Landes Berlin möglicherweise aus dem Arbeitgeberverband der TdL ausgeschlossen zu werden.
Etwaige Streiks der Beschäftigten der Eigenbetriebs-Kitas mit dem Ziel der Herbeiführung und Durchsetzung von Tarifverhandlungen gegenüber dem Land Berlin sind daher grundsätzlich unzulässig. Dies trifft insbesondere zu, da die Gewerkschaft teilweise mit ihren Forderungen gegen die Friedenspflicht des Tarifvertrags TV-L verstoße. Gemäß § 52 TV-L, der besonders für die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes in den Ländern Hamburg, Bremen und Berlin im Rahmen einer Tarifrunde zwischen der TdL und der Gewerkschaft ver.di ausgehandelt und im Dezember 2023 vereinbart wurde, sei eine solche Friedenspflicht festgeschrieben.
Hintergrund der Regelung war dabei, dass ver.di Vorschriften zur Entlastung von Erzieherinnen und Erziehern in den Tarifvertrag TV-L aufnehmen wollte. Diese Vorschriften sahen unter anderem eine monatliche Zulage für Erzieherinnen und Erzieher sowie zwei Rehabilitationstage pro Jahr vor. Bei dieser Tarifrunde kam es zu umfassenden Verhandlungen, unter anderem auch bezüglich einiger der aktuellen Streikforderungen.
Im Ergebnis seien im Rahmen der vergangenen Tarifrunde diverse Regelungen zur Entlastung der Erzieherinnen und Erzieher eingeführt worden, während sich die Gewerkschaft mit einigen anderen Punkten nicht habe durchsetzen können. Da jedoch auch die derzeitigen Streikforderungen in Teilen bereits Verhandlungsthema waren, insbesondere die Forderungen nach Regenerationstagen und der Vorbereitungszeit, sei der derzeitige Streik der Beschäftigten rechtswidrig und daher zu untersagen.
Bewertung
Die sogenannte Friedenspflicht beinhaltet die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, Arbeitskampfmaßnahmen, wie etwa Streiks, zu unterlassen. Insbesondere Regelungen, die im geltenden Tarifvertrag ausgehandelt wurden, dürfen kein Gegenstand von Streikforderungen sein. Dies gilt bei ungekündigt geltenden Tarifverträgen und endet mit dem Ablauf der festgelegten Tarifvertragsdauer.
Maßgeblich ist dabei die Friedenspflicht in Ausgleich zu bringen mit dem grundrechtlich geschützten Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG. Vorliegend war dabei zum einen zu berücksichtigen, dass das Land Berlin im Falle des Einstiegs in Tarifverhandlungen, die von dem TV-L abweichen, sich dem Risiko des Ausschlusses aus dem Arbeitgeberverband der TdL ausgesetzt hätte. Außerdem waren die mit dem Streik angestrebten Forderungen bereits in der Vergangenheit Teil von Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg.
Lediglich die Forderung nach mehr Zeit für Auszubildende war nicht bereits Teil der Tarifrunde und somit an sich zulässig. Da der Streik jedoch auch auf andere Forderungen bezogen war und diese sich als rechtswidrig herausgestellt haben, ist die Zulässigkeit dieser einen Forderung nicht mehr erheblich.
Julia Wulf
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.