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Medizinrecht: Keine Überlegungsfrist des Patienten vor Einwilligung in ärztlichen Eingriff

Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.11.2023 – VI ZR 380/22

Hintergrund

Der Bundesgerichtshof befasste sich vorliegend mit der Frage, ob zwischen der ärztlichen Aufklärung über Risiken und Umstände eines ärztlichen Eingriffs und der Einwilligung des Patienten in diesen ein gewisser Zeitraum als „Sperrfrist“ zum Überlegen eingehalten werden muss.

Geklagt hatte ein Patient, der sich im Herbst 2016 aufgrund anhaltender Schulterschmerzen in die ärztliche Behandlung des Beklagten, eines Chefarztes für Schulterchirurgie, der im ebenfalls beklagten Krankenhaus tätig ist, begab. Nach ärztlicher Diagnose wurde eine Operation der Schulter und des Ellenbogens geplant und für den 07.10.2016 angesetzt.

Am 05.10.2016 wurde zu diesem Anlass ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger geführt, woraufhin dieser eine Einwilligungserklärung unterschrieb, in der er darauf hingewiesen wurde, dass es trotz großer Erfahrung und äußerster Sorgfalt des Arztes in seltenen, unvorhersehbaren Fällen zu einer Erweiterung oder Änderung des Verfahrens kommen könnte. Auch über etwaige Risiken und etwa die Gefahr, dass es in manchen Fällen nicht gelinge, die gezielte Heilung und Rekonstruktion herbeizuführen, wurde in dem Aufklärungsbogen informiert, den der Kläger unterschrieb.

Die Operation des Klägers fand am 07.10.2016 statt, wobei das Operationsverfahren während der Operation aufgrund des Zustandes der Schulter geändert werden musste. Im Nachgang des Eingriffs erlitt der Kläger eine Infektion, weshalb er sich zwei Revisionsoperationen unterziehen musste. Der Kläger machte geltend, dass er auf die Möglichkeit und Risiken einer Operationserweiterung nicht hingewiesen worden sei und sich die damit verbundenen Risiken jedoch aufgrund der Infektion bei ihm verwirklicht hätten.

Es sei bei ihm ein arthroskopischer Eingriff – also ein minimalinvasiver Eingriff – geplant gewesen und genau auf diesen sei es ihm auch angekommen. Im Rahmen der Operation wurde die Schulter jedoch mittels einer Mini-open-Technik weiter geöffnet, wobei der Kläger geltend macht, bis heute eine Wunde von neun Zentimetern an der Schulter davonzutragen. Das erstinstanzlich mit der Klage auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens befasste Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage ab, genauso wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aufgrund eines materiellen und immateriellen Schadens wegen einer fehlerhaften Aufklärung verneinte auch der Bundesgerichtshof. Vielmehr sei der Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt worden hinsichtlich der Möglichkeit einer Operationserweiterung. Eine Einwilligungserklärung, die der Patient direkt im Anschluss an das ärztliche Aufklärungsgespräch unterzeichnet, ist außerdem wirksam.

Die Notwendigkeit der Einhaltung einer „Sperrfrist“ lehnte der Bundesgerichtshof ab, da ein solcher Zeitraum gesetzlich nicht vorgesehen sei. Gemäß § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) muss die ärztliche Aufklärung derart rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohl überlegt treffen kann. Wird nach der Aufklärung seitens des Behandelnden nicht für einen gewissen Zeitraum abgewartet, so führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung.

Bezüglich etwaiger Operationserweiterungen stellte der Bundesgerichtshof fest, dass die Aufklärung sich im Falle von chirurgischen Eingriffen, bei denen eine nicht unwahrscheinliche Möglichkeit einer Operationserweiterung oder eines Wechsels der Operationsmethode besteht, auch auf das Bestehen dieser Möglichkeit und der damit verbundenen weiteren Risiken beziehen muss.

Der Kläger hatte vorliegend hinreichend Zeit, sich innerlich frei zu entscheiden, ob er die Operation durchführen lassen möchte und konnte daher sein Selbstbestimmungsrecht, dem das Erfordernis der Einwilligungserklärung und Aufklärung dient, in angemessener Weise ausüben.

Der Bundesgerichtshof bestätigte weiterhin, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Eingriff selbst fehlerhaft durchgeführt wurde oder etwaige Behandlungsfehler erfolgten. Die später eingetretene Gelenkinfektion konnte nicht auf einen konkreten Auslöser zurückgeführt werden.

Bewertung

Grundsätzlich besteht eine ärztliche Haftung für die nachteiligen Folgen, die ein Patient aufgrund eines von ihm durchgeführten Eingriffs erleidet. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Patient zuvor seine wirksame Einwilligung in die Durchführung des Eingriffs erklärt hat und er ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Dabei beschreiben die §§ 630d Abs. 2, 630e BGB, welche Anforderungen an die Einwilligung zu stellen sind.

Die Aufklärung muss dabei für den Patienten verständlich sein, durch den Behandelnden oder eine ähnlich qualifizierte Person durchgeführt werden und der Patient muss genügend Zeit haben, eine Entscheidung über die Erteilung seiner Einwilligung zu treffen. Dabei hat sich der Gesetzgeber jedoch bewusst dagegen entschieden, eine zeitlich festgelegte Frist im Gesetz zu kodifizieren, weshalb keine gewisse Zeitspanne abgewartet werden muss, bis der Patient wirksam seine Einwilligung erteilen kann. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestätigt vielmehr, dass die gängige Praxis, nach der der Patient im Anschluss an das Aufklärungsgespräch die Einwilligungserklärung unterzeichnet, rechtens ist.

Konstantin Theodoridis
Fachanwalt für Medizinrecht

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