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Reiserecht: Stillschweigende Risikoübernahme bei Buchung eines Fluges trotz eines coronabedingten Einreiseverbots

Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.06.2024, X ZR 97/23

Hintergrund

Bei der Klägerin handelt es sich um die Inhaberin einer Reiseagentur, die von der Beklagten die Erstattung des Beförderungspreises für eine Flugreise für drei Personen von München nach San Francisco und von Las Vegas über Frankfurt zurück nach München verlangt. Die Reise sollte am 04.08.2021 starten und am 24.08.2021 enden, also zu einem Zeitraum stattfinden, zu dem aufgrund der Covid-19-Pandemie für Reisende aus dem Schengen-Raum ein Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten bestand.

Die Reise sollte 2.114 € kosten, wovon 1.118 € auf Steuern und Gebühren entfallen sollten, die im Falle einer Stornierung erstattet werden sollten. Das unbefristete Einreiseverbot bestand zu dem Zeitpunkt der Buchung am 10.10.2020 bereits seit sieben Monaten und endete erst am 07.11.2021. Die gebuchten Flüge fanden zwar statt, die drei Fluggäste nahmen diese jedoch nicht wahr. Die beklagte Fluggesellschaft hätte die Fluggäste auch nicht auf den Flügen befördert, da diese als Touristen in die Vereinigten Staaten einreisen wollten.

Das Entgelt in Höhe von 2.114 € begehrt die Klägerin von der Beklagten zurück, außerdem verlangt sie die Zahlung von Zinsen und Anwaltskosten. Das erstinstanzlich befasste Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte die Beklagte zur Zahlung der Steuern und Gebühren und wies die Klage im Übrigen ab. Daraufhin legte die Beklagte Berufung vor dem Landgericht Frankfurt ein und forderte die Zahlung der übrigen 996 €, was jedoch seitens des Gerichts zurückgewiesen wurde. Mit ihrer Revision vor dem Bundesgerichtshof begehrt die Klägerin weiterhin die Zahlung der 996 € – jedoch ohne Erfolg.

Gründe

Der Bundesgerichtshof schloss sich der Beurteilung des Landgerichts Frankfurt an, wonach der Klägerin keine Ansprüche auf Rückzahlung des Entgelts der Flugtickets zustehen. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus der europarechtlichen Fluggastrechte-Verordnung, da die Fluggäste den Vertrag gekündigt hätten, indem sie die Flüge nicht wahrgenommen hätten, noch ergibt sich dies aus einem werkvertraglichen Kündigungsrecht, da von Beginn an eine Erstattung von lediglich den Steuern und Gebühren vertraglich vereinbart war.

Eine Kündigung aus wichtigem Grund war ebenfalls nicht möglich, da der Klägerin das andauernde Einreiseverbot bei der Buchung bekannt gewesen war und sie sich dennoch für die Buchung eines Tarifs ohne vollständige Rückerstattung entschied. Letztlich scheiden auch Ansprüche aufgrund eines Rücktritts aufgrund der Unmöglichkeit der Leistung aus, denn die Erbringung der Leistung – nämlich die Beförderung zum Reiseziel – sei für die Beklagte möglicherweise schon gar nicht unmöglich gewesen. Geschuldet ist nicht die Einreise in das Zielland, sondern lediglich die Beförderung dort hin. Ob die Beförderung durch die Beklagte aufgrund etwaiger Einreisestrafen für diese tatsächlich unmöglich war, ließ der Bundesgerichtshof dahinstehen.

Ausschlaggebend war vor allem, dass der Umstand, aus dem möglicherweise ein Rücktrittsrecht entstanden wäre, dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzurechnen war. Die Klägerin hat bei der Buchung der Flugreise das Risiko eines fortbestehenden Einreiseverbots auf sich genommen und dennoch einen Tarif gebucht, der lediglich eine Erstattung von Steuern und Gebühren vorsah. Daher wäre ein Rücktrittsrecht der Klägerin ohnehin ausgeschlossen gewesen, da sie gemäß § 323 Abs. 6 Fall 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allein oder zumindest weit überwiegend für die Unmöglichkeit der Leistung verantwortlich war.

Das unbefristete Einreiseverbot war der Klägerin zum Zeitpunkt der Buchung bekannt, außerdem war zu diesem Moment nicht ersichtlich, wie sich die weltweite Lage aufgrund der Pandemie weiter entwickeln würde. Ein Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten bestand insbesondere für Reisen, die zu touristischen Zwecken erfolgen sollten. Ob die Reise derartigen Zwecken diente, war für die Beklagte nicht einschätzbar oder beeinflussbar. Die Klägerin hatte diesbezüglich also mehr Möglichkeiten, ihr eigenes Risiko einschätzen zu können, während für die Beklagte nicht ersichtlich war, aus welchen Gründen die Reise erfolgen sollte. Daher ist dieses Risiko der Klägerin aufzuerlegen und ein Rücktrittsrecht und somit auch die Rückforderung des Entgelts ausgeschlossen.

Bewertung

Ein Rücktrittsrecht besteht grundsätzlich, wenn die vertraglich geschuldete Leistung – vorliegend also die Beförderung seitens der Fluggesellschaft – für diese nicht mehr möglich ist. Ob die Fluggesellschaft die Fluggäste tatsächlich nicht befördern konnte, ließ der Bundesgerichtshof offen, denn ein Rücktrittsrecht wäre ohnehin ausgeschlossen gewesen, da die Klägerin für den Umstand, der sie zum Rücktritt berechtigt hätte, weit überwiegend verantwortlich war.

Vorliegend hat die Klägerin stillschweigend bei der Buchung das Risiko eines weiterhin bestehenden Einreiseverbots auf sich genommen. Eine stillschweigende Übernahme eines Risikos ist zu bejahen, wenn dieses Risiko bei Vertragsschluss bereits bestand und nur eine Vertragspartei dieses abschätzen konnte. Bei Risiken, die erst nach Vertragsschluss auftreten und sich dem Einflussbereich beider Vertragsparteien entziehen, ist es dagegen gerechter, diese nicht alleine einer Partei aufzuerlegen.

Zwar hatte im Zeitpunkt der Buchung möglicherweise die Hoffnung bestanden, das Reiseverbot würde bis zum Antritt der Reise entfallen, jedoch hat sich die Klägerin durch ihre Tarifwahl bewusst diesem Risiko ausgesetzt und dieses somit konkludent übernommen.

Matthias Gollor
Anwalt für Reiserecht

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