Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.06.2024 – XII ZB 197/24
Hintergrund
Beschwerde eingelegt hatte vorliegend ein an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie erkrankter, im Jahr 1996 geborener Betroffener, für den im Januar 2023 ein Betreuer bestellt wurde. Dem Betreuer wurden die Aufgaben der Aufenthaltsbestimmung, die Entscheidung über eine freiheitsentziehende Unterbringung und die Gesundheitssorge übertragen.
Eine Unterbringung des Betroffenen erfolgte von Januar bis April 2023. Nachdem er im Oktober 2023 körperliche Verletzungen erlitt, als er aus einem Fenster seines Elternhauses sprang, wurde für ihn erneut eine Unterbringung angeordnet, seit November 2023 befindet sich der Betroffene in seiner derzeitigen Unterbringungseinrichtung. Im Dezember wurde durch einen Beschluss des zuständigen Amtsgerichts Marsberg eine Zwangsbehandlung des Betroffenen bis zum 10.02.2024 angeordnet, nachdem dieser zuvor sein Einverständnis zu einer medikamentösen Behandlung verweigert hatte.
Die Betreuerin des Betroffenen beantragte, eine Zwangsbehandlung des Betroffenen auch über den 10.02.2024 hinaus zu genehmigen. Die Behandlung sollte dabei mit den Medikamenten Zypadhera und Clexane intramuskulär bzw. subkutan erfolgen. Das Amtsgericht Marsberg hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt und den Betroffenen persönlich angehört, bevor es die Behandlung mit einem Beschluss vom 08.02.2024 genehmigte.
Dagegen legte der Betroffene eine Beschwerde beim Landgericht Arnsberg ein, welches die Beschwerde zurückwies. Zuvor wurde jedoch ein neues Sachverständigengutachten eines Neurologen eingeholt, auf welches das Landgericht Arnsberg seinen Beschluss stützte. Nun verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Marsberg und des Landgerichts Arnsberg ihn in seinen Rechten verletzt haben, mit einer Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof weiter.
Gründe
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat Erfolg, da der Bundesgerichtshof eine Verletzung seiner Rechte aufgrund mehrerer Aspekte bejahte.
Zum einen hätte das Landgericht Arnsberg den Betroffenen erneut persönlich anhören müssen. Es ist zwar grundsätzlich nach den einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) möglich, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn zuvor bereits eine durchgeführt wurde, jedoch gilt dies nicht, wenn durch eine erneute Anhörung neue Erkenntnisse zu erwarten sind.
Vorliegend stützte das Beschwerdegericht seine Entscheidung auf das neu eingeholte Sachverständigengutachten und somit auf eine neue Tatsachengrundlage. Daher hätte der Betroffene ebenfalls erneut angehört werden müssen, um sich zu den neuen, entscheidungsrelevanten, sich aus dem zweiten Gutachten ergebenden Umständen äußern zu können.
Darüber hinaus war der Sachverständige nicht als Gutachter geeignet, da es sich nicht um einen Arzt für Psychiatrie handelte. Da es sich bei der anzuordnenden Maßnahme um eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelte, hätte der Sachverständige gemäß § 321 Abs. 1 FamFG ein Psychiater sein oder zumindest über einen Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet verfügen müssen. Trifft dies auf den Sachverständigen nicht zu, so darf sein Gutachten seitens des Gerichts nicht verwertet werden.
Bei dem Sachverständigen handelte es sich vorliegend um einen Facharzt für Neurologie, der derzeit eine Fortbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie absolviert. Es wurde jedoch weder seitens des Amtsgerichts Marsberg noch des Landgerichts Arnsberg festgestellt, dass der Arzt bereits über ein ausreichendes Wissen verfügt, um die erforderliche Erfahrung einbringen zu können. Daher durfte die Genehmigung auch nicht auf Basis dieses Gutachtens erteilt werden.
Bewertung
Die vorliegend strittigen Maßnahmen der Zwangsbehandlung mit Medikamenten hatten sich zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bundesgerichtshofs bereits durch Zeitablauf erledigt, daher stellte der Bundesgerichtshof lediglich fest, dass diese rechtswidrig waren und den Betroffenen in seinem Recht auf körperliche Integrität und die diesbezügliche Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) verletzten. Aufgrund des damit verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs bestand jedoch trotz der Erledigung weiterhin ein Interesse des Betroffenen daran, das Vorliegen einer Rechtsverletzung feststellen zu lassen.
Die gerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation erfolgte aufgrund zweier maßgeblicher Verfahrensfehler. Sowohl die unterbliebene Anhörung des Betroffenen nach § 319 FamFG, als auch die mangelnde Qualifikation des Sachverständigen sind derart gravierende Verfahrensfehler, dass sie einen rechtswidrigen Eingriff in die grundrechtlich geschützten Rechte des Betroffenen darstellen, der nicht gerechtfertigt werden kann.
Lisa Lang
Anwältin für Medizinrecht
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