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Zivilverfahrensrecht: Gewährung von Prozesskostenhilfe bei Anwendung ausländischen Rechts durch das Gericht

Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 20.02.2024 – 12 WF 15/24

Hintergrund

Der Antragssteller ist ein polnischer Staatsangehöriger, der seit 2012 ununterbrochen in Deutschland seinen Wohnsitz hat. Er hat zwei in Polen im März 2009 und im September 2013 geborene Kinder. Beide leben bei ihrer Mutter in Polen, welche der Antragssteller 2010 dort geheiratet hatte. Hier hatten die beiden Ehepartner auch den letzten gemeinsamen Aufenthaltsort.

Im vorliegenden Fall hatte der Antragssteller die Zusage von Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren einer Ehescheidung beantragt, was jedoch durch das Familiengericht abgelehnt wurde. Es hielt die Verfolgung seiner Rechtsinteressen für mutwillig nach § 113 I FamFG in Verbindung mit § 114 I ZPO. Als Grund zu dieser Annahme sah das Gericht den Umstand, dass ein verständiger Beteiligter, welcher seinen Teil der Gerichtskosten selbst zahlt, das Scheidungsverfahren nicht in Deutschland anhängig machen würde. Denn in diesem Fall müsste polnisches Scheidungsrecht angewandt werden, was aufgrund fehlender Kenntnis dessen innerhalb des Spruchkörpers die Einholung eines kostspieligen Gutachtens erfordern würde. Ein verständiger Beteiligter würde zur Kostenminimierung vielmehr das Verfahren in Polen betreiben. Somit sei nach Ansicht des Familiengerichts der Antragssteller auf eine Betreibung des Verfahrens in Polen zu verweisen.

Nach sofortiger Beschwerde des Antragsstellers hob das Oberlandesgericht Celle den Entscheid des Familiengerichts auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zur neuerlichen Behandlung und Entscheidung bei Berücksichtigung des Rechtsverständnisses des Senats.

Gründe

Der Antragssteller hielt sich seit mindestens einem Jahr vor der Stellung seines Antrags in Deutschland auf. Somit sind nach Art. 3 a) v) der Brüssel IIb-Verordnung die Familiengerichte dort zuständig für die Scheidung der Ehe. Wie Art. 8 c) der Rom III-Verordnung vorschreibt, muss aber polnisches Recht bei Bearbeitung dieses Sachverhalts angewandt werden. Beide Ehepartner sind Inhaber der polnischen Staatsbürgerschaft und hatten in dem Jahr vor Stellung des Antrags keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort.

Der entscheidende Senat des OLG Celle ist mit dem OLG Karlsruhe einer Meinung (5 WF 122/10 = FamRZ 2010, 2095), wenn er annimmt, dass der Steller des Antrags einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat, wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Rechtsauseinandersetzungen zu erhalten. Den Grund für diesen Anspruch ziehen die Gerichte aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 I Grundgesetz. Das bedeutet nicht, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht beschränkt und davon abhängig gemacht werden kann, dass das durch Anrufung der Gerichte verfolgte Rechtsziel hinreichend wahrscheinlich erreicht werden kann und die Verfolgung dieses Ziels nicht mutwillig wirkt. Der Raum zu Interpretationen bietende Begriff der Mutwilligkeit muss nur mit Blick auf den durch die Verfassung geschützten Justizgewährungsanspruch verstanden werden.

Ist das verfolgte Rechtsschutzziel durch den kostengeringsten oder einfachsten Weg gleichwertig realisierbar, gibt es an und für sich keinen Grund, den Steller des Antrags zu verpflichten, eben diesen Weg zu wählen (Zöller/Schultzky ZPO35 § 114 Rn 47). Dadurch würde die Justizgewährung an sich nicht beschnitten. Im vorliegenden Fall wird jedoch die Justizgewährung in ihrer Gesamtheit verweigert, nicht für den Einzelfall angepasst. Die Minderung der verursachten Kosten wird genutzt, um eine Verweisung auf die Prozessführung außerhalb Deutschlands zu betreiben.

Vorliegend sind nach Art. 3 der Brüssel IIB Verordnung mehrere Gerichtsstände einschlägig, die gleichrangig nebeneinanderstehen, somit gibt es neben dem anzuwendenden polnischen Recht keine weiteren Punkte, die für eine Verweisung an die polnischen Gerichte sprechen. Jedoch kann das insoweit anzuwendende Recht im Verfahren aber nicht ausschlaggebend sein, wenn über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entschieden wird. Es darf nicht Grund sein für eine Ungleichbehandlung von Antragsstellern, die die sonstigen Bedingungen der Verfahrenskostenhilfe einhalten.

Das Recht auf unterschiedslose und absolut gleichwertige Erteilung von Rechtsschutz nach Art. 3 des Grundgesetzes ist verletzt. Auch eine Diskriminierung von EU-Bürgern entgegen des Verbots nach Art. 12 des EG-Vertrags ist einschlägig. Dort sind auch Ungleichbehandlungen, die an den Wohnsitz oder ähnliche verdeckte Eigenschaften des EU-Bürgers anknüpfen, verboten.

Bewertung

Zweck der Prozesskostenhilfe ist es, dem finanziell schwach gestellten Antragssteller die Verfolgung von Rechten zu ermöglichen, die auch ein verständiger, monetär gut gestellter Bürger, der seine Sach- und Rechtslage vernünftig einschätzt, sowie selbst für die Prozessführung aufkommen muss, verfolgen würde. Dieser Gedanke entspringt der in der Verfassung in Art. 3 I in Verbindung mit Art. 20 III des Grundgesetzes verankerten Rechtsschutzgleichheit.

Dabei soll natürlich verhindert werden, dass die Verfolgung von aussichtslosen Rechtszielen oder die Beschreitung unnötig kostspieliger Rechtswege durch den Steuerzahler finanziert wird. Um eben solchen Missbrauch zu vermeiden, ist „mutwillige“ und nicht aussichtsreiche Rechtsverfolgung durch § 114 I ZPO von der Unterstützung durch die Prozesskostenhilfe ausgeschlossen.

Dass jedoch einer von zwei einschlägigen, durch den EU-Gesetzgeber festgelegten, nebeneinanderstehenden und gleichwertigen Gerichtsstände durch den Antragssteller ausgewählt wird und somit die Anwendung fremden Rechts verursacht wird, kann tatsächlich nicht unter den Begriff der mutwilligen Rechtsverfolgung fallen. Zwar kann argumentiert werden, dass der selbst zahlende Antragssteller nicht die Kosten für ein teures Rechtsgutachten des polnischen Scheidungsrechts tragen wollen würde, jedoch spielten auch die Reisekosten eine Rolle in den Überlegungen eines verständigen Bürgers. Wäre der Grund für die erhöhten Kosten der Rechtsverfolgung nicht die Anwendung fremden Rechts durch das deutsche Gericht, würden die vorangegangenen finanziellen Überlegungen eines verständigen, wohlhabenden Bürgers eine hohe Relevanz für die Feststellung der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung spielen. Sie sind aber völlig außer Acht zu lassen, die Kosten für ein Gutachten des insoweit anzuwendenden Rechts sind nicht zu berücksichtigen.

Die gewöhnliche Bestimmung der mutwilligen Rechtsverfolgung wird zum Schutze des Verfassungsguts der unterschiedslosen und gleichwertigen Gewährung von Rechtsschutz ignoriert.

Der Antragssteller ist seit über 10 Jahren wohnhaft in Deutschland, mitunter einschlägiger Gerichtsstand ist in Deutschland, seine Möglichkeiten der Rechtsverfolgung sollen aber nach Ansicht des Familiengerichts eingeschränkt werden aufgrund des anzuwendenden Rechts im Rechtsstreit. Ein Schicksal, das andere Antragssteller mit Wohnsitz und Gerichtsstand in Deutschland nicht ereilen würde. Eine unterschiedslose und gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz wäre dann nicht mehr gegeben.

Matthias Gollor
Anwalt für Familienrecht

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