Permalink

0

Verkehrsrecht: Haftung eines Verkehrsunfallverursachers für das Sachverständigenrisiko

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.03.2024 – VI ZR 280/22, Pressemitteilung Nr. 86/2024 vom 15.04.2024

Hintergrund

Das vorliegende Urteil knüpft an eine Reihe von Grundsatzurteilen an, die der Bundesgerichtshof zu Beginn dieses Jahres im Kontext der Haftung des Verursachers eines Verkehrsunfalls für die in der Reparaturwerkstatt entstehenden Kosten gefällt hat. Diese Rechtsprechung überträgt der Bundesgerichtshof nun auf die Haftung des Unfallverursachers für Sachverständigenkosten.

Geklagt hatte vorliegend die Inhaberin eines Sachverständigenbüros, die mit der Begutachtung von Pkw-Unfällen betraut ist. In dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt kam es zu einem Verkehrsunfall, woraufhin der Halter des Wagens die Klägerin beauftragte, ein Gutachten über den Unfallwagen zu erstellen. Beklagte des Falles ist die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers, die grundsätzlich voll in der Haftung steht. Das Unfallopfer trat der Klägerin die ihm aufgrund des Unfalles gegenüber der beklagten Haftpflichtversicherung zustehenden Schadensersatzansprüche ab.

In der Rechnung für die Begutachtung veranschlagte das klagende Sachverständigenunternehmen eine Rechnungsposition mit dem Titel „Zuschlag Schutzmaßnahme Corona“ in Höhe von 20 €. Nach Angaben der Klägerin sind diese Kosten darauf zurückzuführen, dass im Rahmen der Begutachtung Desinfektionsmittel, Einwegreinigungstücher und Einmalhandschuhe angeschafft werden mussten.

Die Beklagte Haftpflichtversicherung übernahm sämtliche Kosten des Gutachtens mit Ausnahme dieser Rechnungsposition, woraufhin die Klägerin sich mit einer Leistungsklage auf die Zahlung von 20 € zuzüglich Zinsen an das Amtsgericht Nordhausen wandte. Das Amtsgericht Nordhausen wies die Klage ab, das Landgericht Mühlhausen, das mit dem Verfahren in der Revision befasst war, wies die Klage ebenfalls zurück, da es der Ansicht war, dass eine „Corona-Pauschale“ nicht seitens des Sachverständigen hätte in Rechnung gestellt werden dürfen.

Die Klägerin wandte sich daraufhin an den Bundesgerichtshof und zwar mit Erfolg.

Gründe

Der Bundesgerichtshof bejahte einen Anspruch der Fahrzeughalters selbst auf Ersatz der im Rahmen der Gutachtenerstellung angefallenen Kosten. Dem Fahrzeughalter steht es zu, einen geeigneten Sachverständigen nach seiner freien Wahl mit der Gutachtenerstellung zu betreuen. Dieser Anspruch auf Ersatz der Kosten ist durch die Abtretung auf die Klägerin übergegangen.

Im Falle eines Verkehrsunfalls steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Reparatur des Autos und Zahlung des dafür erforderlichen Geldbetrages zu. Setzt die Reparaturwerkstatt dabei Kosten an, die unsachgemäß oder unwirtschaftlich sind, so fällt dies unter das sogenannte Werkstattrisiko, das heißt der Schädiger muss den erhöhten Betrag dennoch zahlen. Der Bundesgerichtshof überträgt diese Rechtsprechung, die er am 16.01.2024 in einer Reihe von Grundsatzurteilen zu dem sogenannten Werkstattrisiko erlassen hatte (wie Sie in diesem Artikel unseres Kanzlei-Blogs gerne noch einmal nachlesen können), auf die Risikotragung der Sachverständigenkosten.

Der Geschädigte eines Autounfalls hat nur begrenzte Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verwendung von Arbeitsmaterial, Arbeitszeit und unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise durch das Sachverständigenunternehmen, wenn er das verunfallte Auto erst einmal in die Hände des Sachverständigen gegeben hat.

Dem Unternehmer stehen dabei gewisse Entscheidungsspielräume zu, etwa hinsichtlich der Erforderlichkeit von Corona-Schutzmaßnahmen und deren Durchführung im Rahmen eines individuellen Hygienekonzepts. Der Schutz vor einer Corona-Infektion und die Implementierung entsprechender Maßnahmen ist dabei ein legitimes Anliegen des Sachverständigenunternehmens nicht nur mit Hinblick auf die Verhinderung von einer Ansteckung der eigenen Mitarbeiter, sondern auch vor dem Hintergrund, dass derartige Vorkehrungen im Rahmen der Corona-Pandemie üblicherweise von der Kundschaft erwartet wurden.

Ein Sachverständiger darf neben seinem eigenen Honorar auch die Kosten für andere tatsächlich angefallene Aufwendungen in Form von Pauschalen in Rechnung stellen – somit auch die Kosten von Corona-Schutzmaßnahmen.

Bewertung

Der Bundesgerichtshof entschied in diesem Urteil, dass das Risiko, dass ein Sachverständiger im Rahmen der Gutachtenerstellung Rechnungsposten ansetzt, die überhöht, unsachgemäß oder unwirtschaftlich sind, von dem Schädiger zu tragen ist. Demnach muss der Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherung auch solche überhöhten Kosten tragen, wenn sie ohne Zutun des Geschädigten angefallen sind.

Diese Grundsätze gelten bereits für das Risiko, dass eine Kfz-Werkstatt bei der Reparatur des Unfallwagens unwirtschaftlich arbeitet. Dabei müssen dem Geschädigten auch Kostenpunkte ersetzt werden, die für – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen veranschlagt wurden.

Der Geschädigte kann die Zahlung der Kosten für den Sachverständigen verlangen, wenn er die Rechnung für das Gutachten selbst noch nicht beglichen hat. In diesem Fall muss dabei die Zahlung jedoch an den Sachverständigen selbst und nicht an den Geschädigten gehen.

Frank Sattler
Anwalt für Verkehrsrecht

Hier finden Sie einen Überblick unserer Anwaltskanzlei in Bonn.

Ihre Meinung interessiert uns!

Hinterlassen Sie uns ihr Feedback und diskutieren Sie mit uns über aktuelle wirtschaftsrechtliche Fälle aus den Bereichen Arbeitsrecht, Medizinrecht, Marken- und Designrecht sowie weiteren Themen. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen.

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.