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Familienrecht: Scheidung trotz psychischer Erkrankung des Ehegatten möglich

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 02.11.2023 – 4 UF 87/23

Hintergrund

Antragstellerin ist vorliegend eine Ehefrau, die im Jahr 2016 ihrem Ehemann, den sie im Jahr 1987 geheiratet hatte, ihren Wunsch mitteilte, sich scheiden lassen zu wollen. Seit dem Jahr 2017 lebten beide Eheleute getrennt in demselben Haus, da der Ehemann den Keller bewohnte.

Der Ehemann wird seit Juni 2019 von einem Betreuer vertreten, der für diesen unter anderem aufgrund seiner jedenfalls damals schweren Alkoholabhängigkeit bestellt wurde. Diese Betreuung erstreckt sich seit März 2021 auch auf familienrechtliche Angelegenheiten. Als Folge der Alkoholabhängigkeit ist der Ehemann an dem sogenannten Korsakow-Syndrom, bei dem es sich um eine psychische Krankheit handelt, erkrankt und daher in einer Einrichtung untergebracht.

Nachdem die Ehefrau am 17.12.2020 die Scheidung beantragte, machte der Ehemann – vertreten durch seinen Betreuer – geltend, dass eine Scheidung ihn psychisch stark belasten würde und er daher suizidal gefährdet sein könne, da er sich bisher immer selbst habe „beruhigen“ können, indem er an seine Familie und seine „Rückkehr nach Hause“ gedacht habe. Dass eine gewisse Suizidgefahr sowie die Möglichkeit von eigen- oder fremdgefährdenden Handlungen nicht ausgeschlossen werden kann, wurde auch in zwei ärztlichen Bescheinigungen bestätigt.

Das Amtsgericht Siegen wies daher den Scheidungsantrag zurück und verwies darauf, dass die Voraussetzungen einer Scheidung nicht gegeben wären. Zum einen sei kein Getrenntleben der Ehegatten gegeben, da die eheliche Lebensgemeinschaft nicht beendet worden wäre.

Außerdem befand das Gericht, dass die Ehefrau ihren Trennungswillen nicht gegenüber dem Antragsgegner kommuniziert hätte. Selbst wenn in der Zustellung des Scheidungsantrages eine Mitteilung des Trennungswillens liegen würde, würde die psychische Erkrankung des Ehegatten vorliegend ein Festhalten an der Ehe rechtfertigen, da die Scheidung eine unbillige Härte für den Ehemann darstellen würde.

Die Antragstellerin wandte sich dagegen mit einer Beschwerde an das Oberlandesgericht Hamm und machte geltend, dass die Annahme des Amtsgerichts, dass der Ehegatte sich noch immer in einer bestehenden Ehe wähne, nicht auf einer hinreichenden Grundlage basieren würde. Außerdem machte sie geltend, dass sie sich nicht auf ewig an der Ehe festhalten lassen müsse. Das Oberlandesgericht Hamm gab der Antragstellerin Recht.

Gründe

Eine Ehe ist bereits dann im Sinne des § 1565 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gescheitert, wenn einer der beiden Ehegatten sich endgültig abgewandt hat. Dies ist vorliegend der Fall, da bereits seit Oktober 2017 die häusliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht mehr bestand. Eine häusliche Gemeinschaft kann auch dadurch beendet werden, dass die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben. Insbesondere da die Ehegatten bereits vor der Unterbringung des Angeklagten innerhalb des gemeinsamen Hauses getrennt lebten, liegt eine Aufhebung der häuslichen Lebensgemeinschaft vor.

Darüber hinaus hat die Ehefrau ihren Trennungswillen nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm bereits im Jahr 2016 kundgegeben, sie hat ihn Ehegatten auch nicht in der Pflegeeinrichtung besucht oder in sonstiger Weise zu ihm Kontakt gehalten, sodass ein endgültiges Abwenden auf Seiten der Ehefrau vorliegt.

Das Oberlandesgericht Hamm führte außerdem aus, dass die Härtefallklausel des § 1568 BGB vorliegend nicht greift. Zwar kann eine Suizidgefährdung grundsätzlich die Anwendung dieser Klausel begründen, jedoch ist der Ehemann vorliegend in einer geschützten Einrichtung untergebracht, sodass auf derartige Gefährdungen angemessen reagiert werden könnte.

Bewertung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm konkretisiert die Anforderungen an die Härtefallklausel des § 1568 BGB. Dieser statuiert unter anderem, dass eine Ehe trotz deren Scheitern nicht geschieden werden soll, wenn die Scheidung für den Antragsgegner eine so schwere Härte darstellt, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint.

Zwar kann der gesundheitliche Zustand einer Suizidgefährdung unter diese Klausel fallen, jedoch sind die Gesamtumstände zu betrachten. Insbesondere wenn sich der Antragsgegner in einer geschützten Einrichtung befindet sowie dann, wenn eine zumutbare und erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit besteht, rechtfertigt auch eine psychische Erkrankung nicht, dass die Ehe aufrechterhalten werden soll.

Matthias Gollor
Anwalt für Familienrecht

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