
Bundessozialgericht, Urteil vom 21.09.2023 – B 3 KR 11/22 R
Hintergrund
Die Klägerin des vorliegenden Falles war über eine längere Dauer arbeitsunfähig und bezog daher von der beklagten Krankenkasse fortlaufend Krankengeld – auch über die Dauer ihres am 30.04.2018 beendeten Arbeitsverhältnisses hinaus. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wurde zuletzt bis zum 17.06.2018 festgestellt, ein anschließender Nachweis der weiteren Arbeitsunfähigkeit konnte jedoch aufgrund eines erhöhten Patientenverkehrs in der Arztpraxis nicht am 18.06.2018, sondern erst am 20.06.2018 erfolgen.
Aufgrund der bestehenden Lücke vom 18.06.2018 bis zum 20.06.2018 lehnte die Beklagte eine Zahlung des weiteren Krankengeldes ab, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig festgestellt und daher die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin, bedingt durch das zuvor geendete Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Feststellungslücke, in diesem Zeitraum nun nicht mehr bestehen würde.
Die Klägerin wandte sich dagegen zunächst an das Sozialgericht Augsburg, welches der Klägerin recht gab und feststellte, dass die Mitgliedschaft der Klägerin in der Krankenkasse fortbesteht und ihr daher ein Anspruch auf Krankengeld zustehen würde. Die beklagte Krankenkasse wandte sich dagegen mit einer Berufung an das Bayerische Landessozialgericht, welches die Klage ebenfalls abwies. Die dagegen gerichtete Revision der Krankenkasse vor dem Bundessozialgericht blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Gründe
Das Bundessozialgericht hat sich der Ansicht der vorherigen Instanzen angeschlossen, dass die Mitgliedschaft der Klägerin auch über den 17.06.2018 hinaus weiterhin bestand und sie daher fortlaufendes Krankengeld in Anspruch nehmen kann.
Gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Sozialgesetzbuch bleibt die Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen erhalten, wenn ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Dieser muss lückenlos nachgewiesen werden, da der Krankenversicherungsschutz anderweitig entfällt. Die Anforderungen an eine lückenlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wurden dabei genauer durch das Gericht konkretisiert.
Zwar liegt die Obliegenheit, eine andauernde Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig nachzuweisen und entsprechende Arzttermine wahrzunehmen, bei dem Versicherten, jedoch erkennt das Bundessozialgericht einzelne Ausnahmen an, in denen der Versicherte so zu behandeln ist, als hätte er rechtzeitig eine verlängernde Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten. Dies ist etwa der Fall, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um rechtzeitig eine ärztliche Bescheinigung zu erhalten und diese aufgrund von Gründen, die in den Risiko- und Verantwortungsbereich des Arztes oder der Krankenkasse fallen, nicht rechtzeitig erlangt werden konnte.
Besucht der Versicherte am ersten Tag nach Ende des zuvor festgestellten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit den Vertragsarzt ohne einen vereinbarten Termin, um aufgrund der gleichen Krankheit eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erlangen, so hat er nach Ansicht des Gerichts alles in seiner Macht Stehende getan. Der Versicherte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass er im Rahmen der üblichen Öffnungszeiten von seinem behandelnden Arzt eine solche Bescheinigung ausgestellt bekommen wird. Er muss sich jedenfalls ernsthaft darum bemühen, bei dem Arzt vorstellig zu werden.
Aufgrund der schwerwiegenden Nachteile im Falle einer nicht fortgesetzt nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit in Form des Verlustes der Krankenversicherungsmitgliedschaft sind aus verfassungsrechtlichen Aspekten die Anforderungen an den Versicherten nicht zu hoch anzusetzen.
Vorliegend bemühte sich die Klägerin am 18.06.2018, bei ihrem Arzt vorstellig zu werden, das hohe Patientenaufkommen in der Praxis ist nicht ihrem Risikobereich, sondern dem des Arztes zuzurechnen. Daher kam das Bundessozialgericht zu dem Schluss, dass die Nachweislücke irrelevant ist und ein Anspruch der Klägerin auf Krankengeldfortzahlung bestand.
Bewertung
Grundsätzlich ist der Versicherte verpflichtet, den Nachweis seines Arbeitsunfähigkeitsstatus fortwährend und lückenlos zu erbringen, um zu gewährleisten, dass ein Anspruch auf Zahlung des Krankengeldes durch die Versicherung weiter besteht und nicht etwa aufgrund einer endenden Mitgliedschaft durch Beendigung eines Arbeitsverhältnisses entfällt. Dieser Nachweis muss lückenlos vorgelegt werden, jedoch können in Einzelfällen Ausnahmen bestehen, wie das Bundessozialgericht in diesem jüngsten Urteil bestätigte.
Hat der Versicherte alles aus seiner Sicht Mögliche getan, um rechtzeitig eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten, und scheitert dies daran, dass die terminlichen Kapazitäten des Vertragsarztes ausgeschöpft sind, so kann dies nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zugerechnet werden, und eine Nachweislücke schadet ausnahmsweise nicht.
Empfehlenswert ist es dennoch, sich frühzeitig um eine anknüpfende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu bemühen und sicherheitshalber einen Termin bei dem zuständigen Arzt zu vereinbaren.
Konstantin Theodoridis
Fachanwalt für Sozialrecht
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