
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20.06.2023 – L 9 AS 2274/22
Hintergrund
Im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Gewährung eines Existenzminimums durch den Staat ist häufig gerichtlich zu klären, welche Aspekte darunterfallen und welche Ansprüche und Wünsche der Bezugsberechtigten nicht geschützt werden. So beschäftigte das Landessozialgericht Baden-Württemberg im vergangenen Monat die Fragestellung, ob eine Hundehaltung zu dem Existenzminimum gehört und dementsprechend die anfallenden Kosten von staatlicher Stelle übernommen werden können.
Der Kläger des vorliegenden Falles ist seit 2005 Bezieher von Arbeitslosengeld II zur Sicherung des Lebensunterhaltes entsprechend dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, wobei dies neben den Kosten für den Regelbedarf auch Kosten für die Unterkunft und Heizung umfasste.
Im März 2022 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für das Halten eines therapeutischen Haustieres – genauer: eines Hundes – mit der Begründung, dass er infolge der Corona-Pandemie seelische Schäden davongetragen habe und sich von der Haltung eines Tieres eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes versprechen würde, zumal der therapeutisch heilende Effekt von Tieren wissenschaftlich bewiesen sei. Daher beantragte der Kläger die Übernahme von monatlichen Haltungskosten in Höhe von 200,00 € sowie einmalige Erwerbskosten von 2000,00 € und berief sich dabei auf seine grundgesetzlich gesicherte Freiheit, die Art der eigenen medizinischen Therapie frei wählen zu dürfen.
Das beklagte Jobcenter wies den Antrag zurück, woraufhin sich der Kläger zunächst ohne Erfolg an das Sozialgericht Stuttgart wandte und daraufhin vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg klagte, welches einen Anspruch des Klägers ebenfalls verneinte.
Gründe
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Ansicht des Sozialgerichts Stuttgart bestätigt, dass die Haltung eines Hundes nicht unter das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum fällt und daher entsprechende Kosten nicht zu ersetzen sind. Zudem mangelt es bereits an einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage für die Gewährung eines Mehrbedarfs für die Haltung eines Tieres.
Der Kläger machte geltend, dass die Haltung eines Hundes ihm einen Familienersatz bieten und soziale Zuwendung ermöglichen würde, außerdem würde ein Hund seiner soziokulturellen Ausgrenzung und sozialen Isolation entgegenwirken und ihn bei der Umsetzung einer geordneten Tagesstruktur unterstützen. Das Landessozialgericht stellte zwar nicht in Frage, dass die Haltung eines Hundes insoweit hilfreich sein könnte, stellte jedoch weiterhin fest, dass nichtsdestotrotz keine rechtliche Grundlage für die Übernahme der Tierhaltungskosten durch den Staat im Rahmen des Sozialgesetzbuches bestünde.
Weiterhin führte das Landessozialgericht aus, dass kein besonderer Bedarf des Klägers, der ausnahmsweise die Gewährung einer bestimmten Leistung rechtfertigen könne, vorliegen würde. Eine unmittelbare und konkrete Gesundheitsgefährdung des Klägers verneinte das Gericht, zumal sich der Kläger explizit nicht mit diesem Begehren an die Krankenkasse wandte, da er selbst ausführte, einen Hund nicht als „medizinische“ Leistung, sondern vielmehr als „Sozialkontakt-Hilfe“ zu benötigen.
Die Pflege seiner sozialen Kontakte sei dem Kläger jedoch auch unabhängig von der Haltung eines Hundes möglich, so das Landessozialgericht, welches weiterhin auch keine außergewöhnliche Lebenssituation des Klägers feststellen konnte, aufgrund derer eine solche Zusatzleistung nötig sein könnte. Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Tierhaltungs- und Anschaffungskosten wurde mithin mit diesen Begründungen verneint.
Bewertung
Welche konkreten Leistungen von dem staatlich garantierten Existenzminimum im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosengeld II – dem früher sogenannten Harzt IV und dem heutigen Bürgergeld – umfasst sind, ist häufig eine strittige Frage vor Gericht. Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch sieht vor, dass im Einzelfall ein Mehrbedarf zugesprochen werden darf, wenn nachgewiesen wird, dass dieser Bedarf unabweisbar ist. Vorliegend sah das Gericht keine hinreichende Notsituation des Klägers gegeben, um aufgrund dieser Ausnahmevorschrift eine Übernahme der Kosten zu rechtfertigen.
Daher fehlt die gesetzliche Grundlage, um eine solche Sonderleistung zu gewähren. Im Gegensatz zu etwa dem grundrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie, der Sonderleistungen im Rahmen des gesetzlich garantierten Existenzminimums rechtfertigt, wenn es etwa um die Wahrnehmung des elterlichen Umgangs mit ihren Kindern geht, ist die Haltung eines Tieres gerade nicht durch das Grundgesetz geschützt. Die Kosten einer Tierhaltung sind daher von dem Anspruchsberechtigten selber zu tragen.
Konstantin Theodoridis
Fachanwalt für Sozialrecht
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