
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 11.05.2023 – 6 U 4/23, Pressemitteilung Nr. 39/2023
Hintergrund
Bei dem Kläger handelt es sich um einen plastischen Chirurgen aus Darmstadt. Die Beklagten sind zwei Fachärzte für ästhetische und plastische Chirurgie, die gemeinschaftlich eine Arztpraxis unter dem Terminus „Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ betreiben, wobei einer der Fachärzte außerdem einen Facharzttitel für Orthopädie und Unfallchirurgie besitzt.
Da diese Bezeichnung als „Zentrum“ aus Sicht des Klägers bei einem Zusammenschluss von zwei Ärzten irreführend ist, wandte sich der Kläger an das Landgericht Frankfurt am Main. In einem Eilverfahren gab das Landgericht dem Kläger Recht und untersagte den beklagten Fachärzten, für Dienstleistungen im Rahmen der plastischen Chirurgie unter der Bezeichnung „Zentrum“ Werbung zu betreiben und durchzuführen, solange die Arztpraxis lediglich aus zwei Ärzten bestehe.
Die Beklagten wandten sich gegen dieses Urteil an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, welches die Berufung als begründet ansah.
Gründe
Die Bezeichnung einer Arztpraxis als „Zentrum“ für ästhetische und plastische Chirurgie sei nicht irreführend für den Rechts- und Publikumsverkehr, so das Oberlandesgericht Frankfurt. Daher erlaubte es den beklagten Ärzten, die Arztpraxis weiterhin unter dieser Bezeichnung zu führen und zu bewerben.
Grundsätzlich wäre mit der Bezeichnung als „Zentrum“ zwar die Vorstellung einer über das in personeller und sachlicher Hinsicht durchschnittliche Maß hinausgehende Struktur des Unternehmens konnotiert, jedoch seien die Vorstellungen der konkret angesprochenen Klientel hinsichtlich eines „Zentrums“ maßgebend. Gerade in medizinischen Zusammenhängen setze ein „Zentrum“ nicht (mehr) eine gewisse Anzahl an Ärzten voraus.
Eine Mindestgröße ist ferner auch nicht gesetzlich vorgesehen, da der einschlägige § 95 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch keine personellen Mindestanforderungen an ein Medizinisches Versorgungszentrum stellt. Seit dem Jahre 2015 ist auch keine fachübergreifende Kooperation mehr gefordert.
Vor allem das tatsächlich immer stärker verbreitete Auftreten von Arztpraxen als „Zentren“ hat nach Ansicht des Oberlandesgerichts zu einer Abkehr der Vorstellung in der Bevölkerung, dass ein solches Zentrum zwingend den Zusammenschluss einer größeren Anzahl von Ärzten und Personal darstelle, geführt.
Bereits eine Praxis von einer Größe von zwei Ärzten hätte daher die Möglichkeit, sich als „Zentrum“ zu bezeichnen, sodass die Werbung der beiden Ärzte nicht irreführend war.
Bewertung
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts steht im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung, da etwa auch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2012 entschied, dass die Verwendung des Begriffs „Zentrum“ durch eine Arztpraxis nur unter engen Voraussetzungen irreführend sein kann.
Grundsätzlich ist für die Beurteilung des irreführenden Charakters einer Werbung die Vorstellung der anzusprechenden Zielgruppe maßgebend. Weicht der Empfängerhorizont hinsichtlich der Bedeutung der verwendeten Werbeangaben von der dahinter stehenden Realität ab, so ist die Werbung irreführend. Es können demnach auch objektiv unrichtige Angaben in einer Werbung zulässig sein, solange die Vorstellungen des angesprochenen Verkehrs angesichts dieser Angaben kongruent mit der tatsächlichen objektiven Wahrheit sind.
Da die Bezeichnung einer medizinischen Einrichtung als „Zentrum“ mittlerweile weit verbreitet ist, ging das Oberlandesgericht davon aus, dass die breite Bevölkerung unter einem „Zentrum“ nicht mehr eine größere Ansammlung von Ärzten versteht. So kann etwa eine hohe Spezialisierung von Ärzten auf ein konkretes Fachgebiet und somit die kondensierte Ansammlung von Spezialwissen eher für die Annahme eines „Zentrums“ im medizinischen Bereich sprechen. Der Zusammenschluss von zwei Ärzten zu einem „Zentrum“ ist daher nicht irreführend.
Auch der Gesetzgeber stellt keine Vorgaben zu der Mindestgröße eines „Zentrums“ auf. Während bis zum Jahre 2015 ein Medizinisches Versorgungszentrum eine fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtung darstellte, wozu mindestens ein fachärztlicher und ein hausärztlicher Internist vonnöten waren, so ist in der aktuellen Fassung des § 95 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch auch das Kriterium „fachübergreifend“ nicht mehr erforderlich, um eine Praxis als Medizinisches Versorgungszentrum zu bezeichnen.
Konstantin Theodoridis
Fachanwalt für Medizinrecht
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