
Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.06.2017– S 6 U 545/14
Hintergrund
In dem vorliegenden Fall geht es um die Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalles bei einem Autounfall im Rahmen eines Spaziergangs, der in Bezug zu einer Rehabilitation getätigt wurde. Der Kläger ist Diabetiker und befand sich im Jahre 2013 in einer stationären Rehabilitation in einer Klinik eines Rehabilitationszentrums am Niederrhein. An einem Sonntag zu dem Zeitpunkt dieser Rehabilitation begab sich der Kläger auf einen Spaziergang, wobei er von einem Pkw bei dem Passieren eines Zebrastreifens erfasst wurde und infolgedessen eine Lungenkontusion und multiple Zahnfrakturen erlitt.
Bei der Beklagten handelte es sich um eine Berufsgenossenschaft, von welcher der Kläger nun die Erbringung von Entschädigungsleistungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung begehrte. Er führte dazu aus, dass er sich bei dem Spaziergang auf dem Weg vom Kurhaus zum Kurplatz befand und es sich bei diesem Spaziergang um ein Mittel zur Gewichtsreduzierung gehandelt habe, er also seiner Verpflichtung zur aktiven Mitarbeit an einem Erfolg der Rehabilitationsmaßnahmen nachgekommen sei.
Die Rehabilitationsklinik bestätigte, dass zwar keine ausdrückliche Verordnung von Spaziergängen vorlag, jedoch körperliche Betätigung an der frischen Luft empfohlen worden sei. Für den konkreten Sonntag des Unfalls waren seitens der Klinik keine Behandlungen des Klägers vorgesehen.
Die Beklagte lehnte die Zahlung von Entschädigungsleistungen ab mit der Begründung, dass es sich bei dem Unfall nicht um einen Versicherungsfall im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt habe. So sei der Kläger zwar gesetzlich versichert, da er auf Kosten einer gesetzlichen Rentenversicherung stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten habe, jedoch stünde der Spaziergang nicht im Zusammenhang mit der Rehamaßnahme, es handele sich vielmehr um eine eigenwirtschaftliche, unversicherte Tätigkeit, sodass die Krankenkasse für die Behandlungskosten aufkommen müsse.
Ferner führte die Beklagte aus, dass ein lediglich örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Klinikaufenthalt nicht genüge, um einen Versicherungsfall auszulösen, zumal der Spaziergang an einem behandlungsfreien Sonntag stattfand und ein Spaziergang dem Kläger als Diabetiker auch von jeder anderen ärztlichen Stelle, unabhängig von einer Rehamaßnahme, empfohlen worden wäre.
Der Kläger wandte sich gerichtlich gegen die Feststellung der Beklagten, dass es sich bei dem Verkehrsunfall nicht um einen Versicherungsfall handelte, und begehrte die entsprechende Feststellung vor dem Sozialgericht Düsseldorf. Die Klage hatte Erfolg.
Gründe
Das Sozialgericht Düsseldorf hat das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bejaht, sodass ein Versicherungsfall vorliegt, der von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst ist. § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch definiert einen Unfall als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Erhebliche Gesundheitsschäden des Klägers lagen vor.
Außerdem erkannte das Sozialgericht die Eröffnung des Versicherungsschutzbereichs im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung an, da der Spaziergang infolge einer danach versicherten Tätigkeit erfolgte. Der Spaziergang stand demnach in einem inneren und sachlichen Zusammenhang mit dem Rehabilitationsaufenthalt. Ein rein auf zeitlichen oder örtlichen Faktoren der Nähe beruhender Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Rehabilitationsmaßnahme würde nicht genügen.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch einen Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Rehabilitation in der Klinik angenommen. Durch den bloßen Umstand, dass dieser Spaziergang an einem behandlungsfreien Sonntag stattfand, entfällt dieser Kausalzusammenhang nicht.
Die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf steht damit in Kongruenz mit vergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts, welches einen Versicherungsfall im Rahmen von Kuraufenthalten bereits bejahte für den Fall, dass der Versicherte davon ausging, dass die Maßnahme, während der der Unfall geschah, seiner stationären Behandlung dienen würde. Näher konkretisierte das Bundessozialgericht diese Rechtsprechung in späteren Entscheidungen, dass die ausgeübte Tätigkeit jedenfalls nicht dem Rehabilitationszweck schaden dürfe. Auch in diesen parallel gelagerten Entscheidungen ging es um sonntags durchgeführte Spaziergänge von Patienten.
Bewertung
Dass ein Unfall bei einem Spaziergang im Rahmen eines Kuraufenthaltes als nach der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckter Arbeitsunfall gelten kann, wurde durch das Sozialgericht Düsseldorf in Einklang mit der bisherigen obersten Rechtsprechung bejaht.
Diabetes-Patienten, die sich in einer Reha-Behandlung befinden, fördern ihre Gesundheit – und somit das Ziel der Rehabilitationskur –, indem sie sich körperlich, etwa durch Spaziergänge, betätigen. Ein Verhalten des Patienten, welches dem Rehabilitationszweck schaden würde oder kontraindiziert wäre, würde daher nicht im Kontext der stationären Behandlung in einer Klinik stehen. Bei einem Spaziergang liegt jedoch ein hinreichender Ursachenzusammenhang vor. Dies gilt auch, wenn sich der Unfall während eines Spaziergangs an einem behandlungsfreien Sonntag ereignet.
Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Sozialrecht
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